■ Die Ost-Bauindustrie bricht die laufenden Tarifverträge
: Freie Fahrt für freie Löhne

Auf dem Bau liegt die Zukunft – der deutschen Tariflandschaft. Die Kündigung der laufenden Ost-Tarifverträge zeigt, wo es langgehen könnte, wenn die Geschäftslage nur mies genug ist. Dann erodieren die tariflichen Sicherheiten, als seien sie nur halbernste Spielchen für gute Zeiten und keine stabilen Fundamente des Sozialstaates.

Daß der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie die laufenden Tarifverträge kündigt – genauer gesagt: bricht – zeigt, wie schwach der Arbeitgeberverband selbst schon ist und wie sehr er unter Druck steht. Unter Druck der Mitgliedsunternehmen, die aus den Landesverbänden ja einfach austreten können, um sich der tariflichen Verpflichtungen zu entledigen. Angesichts der miesen Auftragslage und der anstehenden Lohnanhebung von fast fünf Prozent hätten das einige Unternehmen auch schon getan, heißt es beim Hauptverband in Frankfurt. Und noch mehr Ost-Unternehmen hätten mit Austritt gedroht. Wie paradox: Mit der Tarifkündigung wolle man die künftige Tariftreue sichern und eine weitere Erosion des Verbandes verhindern, argumentiert der Hauptverband. Doch die Erosion ist längst schon da. Ein Arbeitgeberverband, der am Ende nicht für die von ihm selbst unterzeichneten Tarifabschlüsse garantieren kann, ist künftig kein verläßlicher Verhandlungspartner mehr. Inwieweit die Kündigung überhaupt Rechtens ist, wird wohl das Arbeitsgericht entscheiden.

Und so, wie es im Osten läuft, kann es später auch im Westen sein. Schon haben die Metallarbeitgeber ihren Mitgliedsunternehmen geraten, nach Inkrafttreten des entsprechenden Gesetzes die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall einfach abzusenken. Zur Lohnfortzahlung gibt es zwar Bestimmungen in den Manteltarifverträgen, aber in denen hätte man doch – so die Arbeitgeber – nur die Gesetzesregelungen übernommen. Und daher würden sich diese tariflichen Bestimmungen bei neuer Gesetzeslage automatisch ändern. Das Motto: Sollen die Arbeitsgerichte das klären. Das ist die Botschaft dieser Arbeitgeberaktionen. Eine bedeutsame Verlagerung: Die Arbeitgeberverbände erklären ihren eigenen Bankrott. Statt dessen soll die Justiz entscheiden, wenn die Gewerkschaften nicht neu verhandeln. Klagen aber dauern. In Wirklichkeit entscheidet dann der Markt. Und das ist auch so gewollt. Barbara Dribbusch