Präsident Nikolaus

Sein Wahlkampfchef Dick Morris geht, und US-Präsident Bill Clinton verspricht jede Menge Wahlgeschenke zum Abschluß des Parteitages der Demokraten  ■ Aus Chicago Andrea Böhm

Im Unterschied zur perfekten Inszenierung der Konkurrenz widerfuhr den Demokraten am Ende ihres Parteitages doch noch eine Überraschung. Statt sich drehbuchgemäß mit der Rede Bill Clintons in Chicago und seiner Vision für das 21. Jahrhundert zu befassen, stürzte sich die Presse auf den „Sex-Skandal“ um Top-Wahlkampfmanager Richard Morris, der laut Boulevardprese eine Beziehung mit einer Prostituierten gehabt haben soll, die er hin und wieder sogar bei Telefongesprächen mit dem Präsidenten zuhören ließ. Morris erklärte umgehend sein Ausscheiden aus dem Wahlkamfteam im Weißen Haus, ohne zu den Vorwürfen weiter Stellung zu nehmen. Die Republikaner signalisierten Freude über dieses Wahlkampfgeschenk für Bob Dole, der in den Meinungsumfragen schon wieder abzurutschen begann. Demokraten fragten sich angesichts der scheinbar unendlichen Serie von Skandalen um „Friends of Bill“, wozu der Präsident bei solchen Freunde noch Feinde braucht.

Allerdings erscheint es höchst unwahrscheinlich, daß die „Republikaner“ aus dieser Affäre Kapital schlagen werden. In der US-Öffentlichkeit hat sich eine gewisse Gleichgültigkeit eingestellt, wenn es um sogenannte „Charakterfragen“ geht. Ironischerweise mag der Abgang seines Top- Beraters für Clinton sogar zeitgemäß gewesen sein. Morris, ein politisches Chamäleon, gilt als Architekt jener Strategie, mit der Bill Clinton in den vergangenen zwei Jahren politische Positionen der Republikaner zu seinen eigenen gemacht hat. Doch auf dem Parteitag wurde deutlich, daß Bill Clinton für die Endphase des Wahlkampfs wieder andere Töne anschlagen möchte. Seine – wie immer zu lange – Rede vor den Delegierten in Chicago enthielt zwar nicht die großen Reformprojekte, die er 1992 versprach. Aber es war, wie ein Fernsehkommentator vermerkte, eine „Weihnachtsliste“ mit Geschenken von Vater Staat – oder, um Clintons neue Metapher zu benutzen, eine „Brücke für den Weg ins 21. Jahrhundert“: Steuererleichterungen und Sparfonds für all jene, die auf die Hochschule gehen wollen; Stipendien für Umschulung und Weiterbildung; Krankenversicherung für Arbeitslose; eine Alphabetisierungskampagne, mit der bis zum Jahr 2000 alle Drittklässler des Lesens mächtig sein sollen; ein Programm, mit dem in den nächsten vier Jahren alle Schulzimmer an die sogenannte Datenautobahn angeschlossen sein sollen; und schließlich das Versprechen, eine Million Jobs für jene Sozialhilfeempfänger zu schaffen, die mit Clintons Unterschrift unter die Abschaffung der Bundessozialhilfe in eine ungewisse Zukunft gestoßen worden sind.

Clinton appellierte am Donnerstag an die „Soccer Mom“ – jene Wählerin, die ihren Alltag zwischen Job, Haushalt und dem Chauffieren ihrer Kinder zu Freizeitaktivitäten aufteilen muß, die Angst um ihren Status als Angehörige der Mittelschicht hat, nichts von der „Revolution“ der Gingrich-Republikaner hält und vom Staat auch Hilfestellung erwartet. Clintons Auftritt war zum anderen ein Versöhnungsangebot an die linksliberale Parteibasis. Eine Vision bot der Präsident seinen Landsleuten in seinem letzten Wahlkampf allerdings nicht.

Das wird ihn wohl nicht daran hindern, weitere vier Jahre im Weißen Haus zu verbringen. Dort soll er nach Berichten der Washington Post noch vor kurzem mit Dick Morris darüber gebrütet haben, womit er sich in den Geschichtsbüchern auf gleiche Höhe mit den größten Präsidenten des Landes – Washington, Jefferson, Lincoln, Roosevelt – bringen könnten. Ein Krieg, stellten beide fest. Daraufhin soll Clinton sich damit abgefunden haben, mit Reformen in Friedenszeiten einen Platz in der zweiten Reihe der historischen Galerie einzunehmen.

Portrait Seite 11