US-Geheimakten: Nazis nutzten Rotes Kreuz

■ Neue Informationen über die Unterwanderung durch Geheimdienst

Chicago (rtr/taz) – Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) wird in US-Geheimdokumenten aus dem Zweiten Weltkrieg beschuldigt, es habe sich von Deutschland für Spionage benutzen lassen. Möglicherweise habe die Kontrolle der Deutschen bis in die Genfer IKRK-Führung gereicht, heißt es in den Akten, die der Jüdische Weltkongreß (WJC) im amerikanischen Nationalarchiv gefunden hat. Es geht um Berichte des Amtes für strategische Dienste (OSS), dem Vorläufer des Geheimdienstes CIA.

Das IKRK war eine privatrechtlich organisierte, nur aus Schweizer Bürgern bestehende Organisation, die dazu bestimmt war, über die humanitären Prinzipien der internationalen Rotkreuz-Bewegung zu wachen und die Tätigkeit der nationalen Rotkreuz-Organisationen zu koordinieren. Die Leitungsmitglieder stammten größtenteils aus dem Genfer Großbürgertum. Das IKRK benannte Delegierte in einer Reihe von Ländern. Neben dem IKRK gab es die „Liga“, den Dachverband der nationalen Rotkreuz-Verbände, ebenfalls mit Sitz in Genf. Das IKRK unterhielt Kontakte zu dem gleichgeschalteten und von der SS kontrollierten Deutschen Roten Kreuz (DRK), das seinerseits durch sein Auslandsbüro mit der Genfer Zentrale verbunden war. In diesem Büro arbeiteten auch Gegner des Naziregimes.

Schon während des Krieges war das IKRK scharf kritisiert worden, weil es sich um das Schicksal der verschleppten und mit dem Tod bedrohten jüdischen Bevölkerung in den von den Nazis besetzten Ländern so gut wie nicht gekümmert hat.

Den jetzt aufgefundenen Dokumenten zufolge berichtete 1944 das OSS, daß das IKRK möglicherweise vom deutschen Geheimdienst kontrolliert wird. „Es ist bekannt, daß der deutsche IKRK- Delegierte (gemeint ist offenbar der deutsche Vertreter beim IKRK d.R.) in Genf ein Agent ist und daß die Deutschen den IKRK-Chef im Griff haben.“ Unter dem Datum 4. Februar 1944 meldet das OSS, es lägen Hinweise vor, „daß das IKRK in seinen Reihen – und sogar im Präsidium – eine Anzahl von Leuten hat, die entweder deutsche Agenten sind oder Umgang mit deutschen Agenten haben und die das Rote Kreuz als Deckmantel für die Beschaffung und Weitergabe militärischer Informationen benutzen“.

Ebenfalls am 4. Februar 1944 berichtet die OSS aus Französisch- Nordafrika, der dortige IKRK- Repräsentant stehe „im Verdacht, in geheimdienstliche Tätigkeit des Feindes verwickelt zu sein“. Ergänzend heißt es in einem anderen OSS-Bericht jenes Monats, ein Oberstleutnant des amerikanischen Heeres sei in Algier zusammen mit einem IKRK-Delegierten untergebracht, „der eindeutig ein deutscher Agent ist“. Aufgelistet werden gleich 45 Namen mutmaßlicher deutscher Agenten.

Am 21. Mai 1945, kurz nach Kriegsende, berichtet das OSS, Kuriertaschen des IKRK würden benutzt, um „Vermögen in konzentrierter Form“ aus Deutschland über die Türkei in die Schweiz zu schaffen.

IKRK-Sprecher Kim Gordon- Bates sagte, seine Organisation sei bereits zu einem früheren Zeitpunkt informiert worden, daß es in der Türkei einen mutmaßlichen Nazi-Kollaborateur unter den Delegierten gegeben habe. Er habe in der Tat mit der IKRK-Kurierpost Geld weitergeleitet, sagte Gordon- Bates. Doch stehe nicht fest, ob es jüdisches Geld gewesen sei. Der Delegierte habe, so Gordon-Bates, 1945 das IKRK verlassen müssen.