Das Flirren der roten Hitze

■ Die Truppe Mudances als Abschluß des Sommertheater Festivals

Ein kleines Wäldchen aus Teebäumen säumt die Bühne. Aus dem Gewirr der Stämme entwindet sich eine Tänzerin. Wie eine im Zeitraffer gefilmte Blume schraubt sie sich allmählich empor, ihr Oberkörper beschreibt wilde Kreise. Und gerade haben sich die Arme zum Himmel hin ausgebreitet, als der Körper schon wieder verblüht zusammenfällt. „Blüten der Agave“, deren katalanischer Name auch „Tänzer“ bedeutet, seien mit den Teebäumen gemeint, aus deren Mitte die Tänzerin gekommen ist, sagt Regisseurin Angels Margarit. Daher stammt auch der Titel ihres neuen Programms Arbre de Té – Teebaum, das am Freitag als letzte Premiere beim Internationalen Theaterfestival seine Uraufführung hatte.

Wie sich alles Lebende verändert und wie der Mensch wahrnimmt, diese Themen werden in wilden Gruppenformationen getanzt, dann wieder in Langsamkeit eingerahmt. Tontropfen eines Saxophons, getragen von einem gleichmäßigen Schnarren, bilden den Klangmantel, der sich über dem Teebaumwald wölbt. Einem Wald, dessen Bäume mal zu einer Schneise formiert sind, mal in eine Reihe umgestellt werden, schließlich einen Kreis beschreiben. Dort in der Mitte sitzt ein Mädchen und erzählt. Klack, klack, rieseln weiße Schalen durch ihre Finger in einen hellen Korb zwischen ihren Knien – helle Rhythmuspunkte auf dem warm–dunklen Teppich ihrer Stimme (sie erzählt auf portugiesisch) – und musikalische Kulisse für beeindruckenden Zeitlupentanz.

Die spanische Tanzgruppe Mudances wurde 1985 von Angels Margarit gegründet. Nach einigen Solo– und Gruppenstücken gastierte Angels Margarit bereits 1990 in Hamburg. Nun zum wiederholten Male auf Kampnagel stellt sie diesmal ein Programm vor, das von Rainer Maria Rilkes Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge und den surrealistischen Bildern René Margrittes inspiriert ist.

Diese Übertragung gestaltet die Choreografin sehr direkt: In eine rote Papierbahn, die von der Decke hängt, werden Quadrate geschnitten, in denen ein Metronom, Uhren, Ansichtskarten aufsteigen, schweben und verschwinden. Hier scheinen Margrittes Bilder zu eindeutig übersetzt – eine leichte Flaute in dem Ideenreichtum der restlichen Inszenierung. Auch die Teebeutel, die von den Ästen der Teebäume hingen und in einer Szene als Boxbeutel dienen, baumeln im Stück als unnötige Verfremdungsaccessoires. Und obwohl die Bewegungen der Tänzer perfekt und harmonisch fließen, potenziert durch exakte, zeitlich versetzte Wiederholungen – die Tanzabschnitte waren streckenweise zu lang angelegt.

Unvergleichlich jedoch eine Traumszene: Auf dem Boden wälzt sich ein dunkler Körper ruckartig, bäumt sich im Traum auf, rollt über die Bühne. Im Hintergrund krümmt sich eine Tänzerin vor einer orange–roten Papierbahn. Sie wirft die Arme in die Luft, ihr Schatten und der eines Teebaumes schlagen aus wie in vor Hitze flimmernder Luft. Hundebellen und Stimmen kommen von weit her, schwellen an zu einem unerträglichen Lärm. Schüsse knallen. Flammend rot bricht ein Alptraum aus, glüht kurz auf und erlischt. Schöne Tanzträume – und nur manchmal hätte das Erwachen schneller kommen können.

Katrin Seibold