Und alle loben das Herz von May

„Nachher ist man schlauer“: Nach der WM-Niederlage von Torsten May gegen Adolpho Washington ist im Sauerland-Lager der Streit zwischen zwei Box-Schulen entbrannt  ■ Aus Palma de Mallorca Peter Unfried

Es war eine wunderbare Nacht in Palma. Sie war mild, warm und angenehm. Und der Regen hatte rechtzeitig aufgehört. Der Mann allerdings, dessen Nacht es hätte sein sollen, hatte nichts mehr davon. In aller Eile war eine Sonnenbrille organisiert worden, mit der man sein zerschlagenenes Gesicht schützte. Dann hatte man Torsten May weggeführt. Zurück blieben Leute wie sein Matchmaker Jean Marcel Nartz, die den Kopf schüttelten und sagten: „Die letzten vier Runden waren bitter.“

Gesucht worden war ein IBF-Weltmeister im Cruisergewicht. Den hat man nun. Sein Name ist Adolpho Washington (28). Nun sucht man Antwort auf die Frage: Warum Washington? Warum nicht May? Der Boxer selbst mochte nach dem klaren Urteil (112:116, 111:117, 114:115) nicht allzuviel zur Ursachenforschung beitragen. „Zu risikovoll geboxt“, sagte er, „nachher ist man immer schlauer.“

Es handelt sich um einen Streit der Schulen. Manfred Wolkes Boxer, heißt ein Vorwurf, können nur aus der Distanz boxen. Wolke mag den Infight nicht. Er ist nicht seine Welt. May, der sich in Frankfurt (Oder) vom goßen Meister vernachlässigt gefühlt und eine Leistungsstagnation diagnostiziert hatte, war nicht im allerbesten Einvernehmen samt Bruder Rüdiger nach London zu John Smith gewechselt. Dort hatte man innerhalb von nicht einmal zwei Monaten einen neuen May designen wollen. Einen, der das Beste aus beiden Welten vereinigt. Einen, der Weltmeister ist, wie Henry Maske, und der dabei seine Gegner auch noch kräftig treffen kann. Die Erfolgsmeldungen aus der Ecke Smith/May klangen manchmal so, als wolle man sagen: Na, Wolke hat ganz gute Vorarbeit geleistet, aber jetzt machen wir mal einen richtigen Boxer.

Axel Schulz ist bekanntlich der überzeugteste Anhänger von Wolke. Als man Smith hintertrug, daß er sich erlaubt hatte zu sagen, mit Wolke hätte May gewonnen, wurde der Engländer richtig fuchsig. Es sei dies das „Blödeste, was einer sagen könne“, und insbesondere von einem Wolke-Boxer, der fünfmal um internationale Titel geboxt hatte und alle Chancen verpaßte.

Nun mag man sagen, es handele sich um die Erregung nach dem Kampf. Tut es. Es handelt sich aber auch um einen Riß, der durch das Sauerland-Camp geht. Selbst Henry Maske, nachdem er sich länger gewunden hatte, sagte: „Wenn der Lange das tut, was er kann, kann das gar keine Frage sein.“

Wolke wiederum hatte in der Zeitung erfahren, was sein Ex- Schüler alles dazugelernt haben wollte. „Er hat genau das gezeigt, was er gesagt hat, was er gelernt habe“, sagte er, „der Junge ist gewachsen.“ May hatte genau das, was er gelernt haben wollte, nicht gezeigt. Und doch dafür das, was er bei Wolke gelernt hatte, drangegeben.

Für den Zuschauer Wolke muß es ein schlimmer Kampf gewesen sein. Für Adolpho Washington war es „der beste Fight des Jahres 1996“. „Torsten“, sagte dessen Trainer und Manager Malcolm Garrett, „boxte genau so, wie wir es erwartet hatten, nur mit mehr Herz.“ Das ist im Boxgeschäft bekanntlich ein großes Lob. Alle lobten Mays Herz. Jenes half ihm allerdings nicht eben, den Kampf zu gewinnen. May war der Größere der beiden Kämpfer, hatte sich aber dennoch immer wieder in die Halbdistanz begeben, in der Washington ihn schließlich mit seinem ununterbrochen punktenden Jab zermürbt hatte. Bereits in der ersten Runde hatte er Mays rechtes Auge getroffen, das sich daraufhin zügig schloß.

„Er mag es nicht, in den Körper getroffen zu werden“, hatte Garrett auf den Videos beobachtet. Deshalb zieht May seine Rechte, nachdem sie geschlagen hat, zurück an den Körper. Bei diesen Aktionen konterte Washington. Die Attacke auf das Auge war ein wichtiger Bestandteil des Planes.

Garrett hatte bereits vor dem Kampf gesagt, diese WM komme für May zu früh. 15 Kämpfe, auch wenn alle gewonnen wurden, sind tatsächlich nicht viel. „Im nachhinein“, sagt nun Nartz, „sind es fünf zuwenig.“ Maske hatte 19. Er wurde 1988 Olympiasieger und fünf Jahre später Profiweltmeister. Mays Olympiasieg datiert aus dem Jahre 1992.

Allerdings ist ein Jahr eben ein Jahr. May ist knapp 27, aber er selbst mochte nicht mehr warten. Er hatte jahrlang zugesehen, wie Maske und Schulz um die Titel boxten. Jetzt tun sie es (bald) nicht mehr, also war andererseits ein Bedarf da, den etwa der RTL-Chefredakteur Hans Mahr in den Tagen von Mallorca auch gar nicht verschwiegen hatte. RTL hat ein Anliegen. Dieses Anliegen ist, „den Menschen einen neuen Star zu vermitteln“. Dafür hatte man, auch mangels Alternativen, den stillen May ausgesucht, dafür war man mit Sack und Pack nach Palma gekommen, um den neuen Mann an einem neuen Ort mit „ein bisserl Flair“ (Mahr) einzuführen.

Jetzt steht man da. Für diesmal haben 7,23 Millionen zugekuckt. Das ist gut. Der Plan aber, mit einem Weltmeister May mittelfristig arbeiten zu können, ist geplatzt. „Wir brauchen Events“, sagt aber Mahr. Und er sagt: „Der Rocky ist zweifelsfrei einer, der Events schaffen kann.“ Mays Trainer John Smith verstieg sich nach dem Kampf in den apokalyptischen Satz, man habe „heute den neuen Rocchigiani gesehen“. Was immer er damit sagen wollte, May braucht nach diesen Schlägen sowieso eine lange Pause, und daß er der Rocky ist, von dem Mahr spricht, ist nicht anzunehmen.

Da ist vielleicht nur gut, daß der alte Graciano Rocchigiani auch auf Mallorca weilte. Die einleitenden Maßnahmen sind längst getroffen. Jetzt wird es Zeit, den Kontakt mit ihm noch zu intensivieren.