Die Befruchtung steuert der Computer

■ Mit der Spermainjektion können auch sterile Männer Nachwuchs bekommen

Der Kreis mit einem Durchmesser von vielleicht zwei Zentimetern zittert noch ganz leicht auf dem Bildschirm. „Die Eizelle muß genau fixiert werden“, sagt Hans- Wilhelm Michelmann und justiert unter dem Mikroskop ein paar Miniaturapparaturen, bis das Objekt auf dem Monitor ganz ruhig liegt. Von der rechten Seite schiebt sich ein dünnes Stäbchen Richtung Bildmitte: eine nur fünftausendstel Millimeter dünne Nadel, mit der im Erntsfall eine männliche Samenzelle in die Eizelle injiziert wird. „Jetzt wäre das Ei befruchtet“, erklärt Michelmann, als die Nadel die Zelle berührt hat, und schaltet den Computer ab.

Der Professor leitet die Arbeitsgruppe Reproduktionsmedizin an der Universität Göttingen und hat zu Demonstrationszwecken soeben eine „intrazytoplasmatische Spermainjektion“ (ICSI) simuliert. Das in Belgien entwickelte Verfahren wird seit wenigen Jahren in rund einem Dutzend medizinischer Zentren in der Bundesrepublik angewandt.

Mindesten 20 Millionen Samenzellen soll ein Mann haben, der nach den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als fruchtbar und zeugungsfähig gelten will. Die Hälfte der Spermatozoen muß sich überdies frei bewegen können, rund ein Drittel muß morphologisch, also von der Form her, bestimmten Anforderungen genügen. Unfruchtbare Männer, die weniger oder zu schwache Samenzellen haben, sind grundsätzlich weder durch Operation noch durch Medikamnte therapierbar.

Die ersten bis dato kinderlosen Paare wurden in Göttingen Ende 1993 mit der intrazytoplasmatischen Spermainjektion behandelt. „Bei der Vorbereitung läuft die ICSI genauso ab wie bei einer normalen Reagenzglasbefruchtung“, erklärt Michelmann. Nach ihrer Gewinnung werde die Eizelle von den sie umgebenden Zellen isoliert und mit einer einzelnen, aus dem Hoden oder dem Ejakulat des Mannes gewonnenen Samenzelle zusammengebracht. Eine Mikrokanüle sauge das Spermium auf und verpflanze es in das weibliche Ei. Nach der Befruchtung werde die Eizelle für etwa 48 Stunden zwischengelagert und danach als Embryo in die Gebärmutter verpflanzt.

Rund 200 Spermainjektionen nehmen die Göttinger Wissenschaftler seither in jedem Jahr vor. Mit erstaunlichem Erfolg: In mehr als 80 Prozent der behandelten Fälle, so Michelmann, sei es zur Befruchtung und zur Entstehung von Embryonen gekommen. Und immerhin ein Drittel der Frauen sei nach der Übertragung der Embryonen auch tatsächlich schwanger geworden.

Die Resultate seien mit dem zu erwartenden technischen Fortschritt sogar noch zu verbessern, glaubt der Professor. Mußten sich die Wissenschaftler bis vor kurzem noch selbst als Glasbläser versuchen und die benötigten Miniinstrumente selbst bauen, so werden Glasnadeln, Kapilaren und Gefäße mittlerweile industriell gefertigt. Zukünftig, prognostiziert Michelmann, werde die Arbeit weitgehend vom Computer übernommen. „Dann klickt man mit der Maus die Samenzelle an, die man gern haben möchte, und die Stelle an der Eizelle, wo die Samenzelle hinein soll.

Die auch von Medizinern geäußerte Befürchtung, daß die Befruchtung durch Mikroinjektion zu einem erhöhten Auftreten von Fehlbildungen führen könnte, weist Michelmann zurück. Man müsse sich „von dem Gedanken frei machen, daß die Befruchtung auch nur in irgendeiner Weise ein Selektionsprozeß ist“. Die Selektion finde entweder vorher, bei der Herausbildung der Ei- und Samenzelle, oder aber nach der Befruchtung statt, wenn sich das Ei in der Gebärmutter einniste.

Die ersten Zahlen scheinen den Göttinger Professor zu bestätigen. Die Fehlbildungsrate bei den bundesweit bis heute rund 2.000 mit Hilfe einer Mikroinjektion entstandenen Kindern liegt bei knapp drei Prozent. Das entspricht in etwa der Rate bei den auf traditionelle Art und Weise gezeugten Kindern. Nicht abzusehen ist jedoch, ob die mit Hilfe der „assestierten Befruchtung“ gezeugten Kinder später auch einmal – wie ihre Väter – auf medizinische Unterstützung bei der Reproduktion angewiesen sind. Reimar Paul