Werte in allen Variationen

Auf dem „Zukunftsforum Grundwerte“ war die Ost-CDU fast unter sich. Aber auch das half nichts: Sie konnte nicht klarmachen, worin die entscheidende Differenz zur Bonner CDU eigentlich besteht  ■ Aus Halle Dieter Rulff

Für Freiheit statt Sozialismus stand vor 1989 die CDU. Die Parole mobilisierte Anhänger und Wähler gleichermaßen. Für Freiheit im vereinten Deutschland hingegen hat das Interesse merklich nachgelassen. Unter dem Titel „Zukunftsforum Grundwerte“ hatte der Generalsekretär Peter Hintze am Samstag nach Halle geladen. Es kamen überwiegend ostdeutsche Parteimitglieder. Mit dem Veranstaltungsort allein läßt sich die augenfällige West-Abstinenz nicht begründen. Das unterschiedliche Interesse läßt sich nur aus der Vorgeschichte der Tagung erklären.

Diese hätte sicher nicht stattgefunden, hätte nicht der CDU-Fraktionschef im Schweriner Landtag, Eckhardt Rehberg, Anfang des Jahres ein Papier verfaßt, in dem er den Zerfall manch östlicher Lebenswerte bejammerte und eine gesamtdeutsche Wertedebatte einklagte. Die Parole von der „regionalen Identität“ verunsicherte seinerzeit das Konrad-Adenauer- Haus. Hintze antwortete darauf mit der Einberufung des Zukunftsforums. Die Vorgeschichte macht wohl verständlich, daß auf dem Forum die Zukunft zwar Thema, aber kein Gesprächsthema war, von Vergangenheit viel gesprochen wurde und die gegenwärtigen Differenzen in allem durchschienen, aber nicht zum Vorschein kamen. Es war von Werten in allen Variationen die Rede, und häufig vermochten nur in vier Jahrzehnten Diktatur geschulte Ohren aus dem Gesagten das Gemeinte zu filtern.

„Die innere Einheit finden wir nicht durch eine gemeinsame gesamtdeutsche Volkswirtschaft, sondern in einer Wertegemeinschaft aller Deutschen“, abstrahierte der sachsen-anhaltinische Fraktionsvorsitzende Christoph Bergner in seinem Einleitungsreferat bereits von den materiellen Grundlagen der Einheit, um im Ideellen die Gemeinsamkeit zu finden. Doch resultiert aus den gemeinsamen Werten die gleiche gegenseitige Wertschätzung? Die Hoffnung, die die ostdeutschen CDUler, ohne sie auszusprechen, mit der Wertediskussion verknüpfen, erfüllte sich nicht, schon weil sie es vermieden, die entscheidende Differenz, die dieser Wertschätzung entgegensteht, zu benennen. Zaghaft war das Bekenntnis zu den eigenen Werten, die weniger mit Freiheit als vielmehr mit Identität zu tun haben. Die ehemalige Ost-CDU, resümierte Rehberg, habe nichts in die Gesamtpartei eingebracht, der einzelne jedoch sehr wohl. Sein Kollege aus Sachsen-Anhalt, Karl-Heinz Daehre, redete klarer von der Notwendigkeit, daß mit der „Abqualifizierung gebrochen wird, die DDR sei ein Volk von Mielkes und Schalck-Golodkowskis“. Familienministerin Claudia Nolte positionierte den Ort eigener Identität, programmatisch „solidarisches Handeln“ genannt, zwischen Kollektivismus und Individualismus.

Ihr Dilemma nur, daß die Partei im wesentlichen, also im Westen, noch von dieser Bipolarität lebt. „Die Idee der persönlichen Freiheit steht im fundamentalen Widerspruch zum geistigen Grundkonzept des Sozialismus“, sagte Peter Hintze und meinte die PDS. „Der Sozialismus in der DDR ist nicht an Erich Honecker gescheitert, sondern am Sozialismus“, fügte er hinzu und verbaute seinen Parteifreunden Ost damit ihr gängiges Entschuldungsmuster. „Es gibt keine positive DDR-Mentalität, die es fortzuführen gälte“, nahm ihnen der Bürgerrechtler Erhardt Neubert die letzte Möglichkeit des positiven Rückbezuges.

Der ist den Ost-CDUlern gewissermaßen über einen Umweg ermöglicht. Daß bei der Bekämpfung der PDS eine Differenz zu machen sei zwischen der Partei und den einfachen Anhängern, ist ein Lehrsatz, der selbst Hintze über die Lippen kommt. Daß es deshalb der PDS nicht gestattet werden dürfe, allein die Biographien der Ostdeutschen zu verteidigen, ist eine Erkenntnis, die Pieroth zu dem Schluß führte, daß „die Auseinandersetzung um die Frage: Wer spricht im Namen dieser Leute?“ bislang nicht konsequent genug geführt worden sei.

Die unbefangene Distanz des Westlers ermöglichte es Pieroth dann am Ende, mit der nötigen Klarheit das Problem programmatisch zu lösen, indem er die Dialektik zwischen Thema und Teilnehmer des Kongresses aufzeigte: „Die Erfahrung der Unfreiheit ist ein hinüberrettenswertes Element der DDR.“