Von Florida bis zur Reeperbahn

■ 3. Filmfest Oldenburg: Familiäre Atmosphäre, einige schöne Entdeckungen und eine Stadtverwaltung, die auch im dritten Jahr noch geizig ist

Cinque Lee hatte es nicht eilig, wieder nach Hause zu fliegen. Der kleine Bruder des Regiestars Spike Lee fühlte sich offensichtlich in Oldenburg ganz wohl. Noch am späten Sonntagabend, als das 3. Oldenburger Internationale Filmfest schon vorbei war, war Cinque Lee in der Festivallounge der Kultur-etage beim angeregten Palaver anzutreffen. Das ist das Nette am Filmfest: New Yorker Independent-Regisseure treffen auf deutsche Nachwuchsfilmer, – diesmal auch aus dem Raum Weser-Ems (s. taz vom 31.8.) –, dazwischen tummelt sich das Publikum. Das weniger Nette am Filmfest: Die Stadt tut sich schwer kundzutun, daß sie das Filmfest auch will. Gerade mal 15.000 Mark hatte Oberbürgermeister Dieter Holzapfel aufgetrieben, indem er seine Beziehungen zur Wirtschaft spielen ließ – eine Geste, die wohl den Kommunalwahlen im September („Dieter Holzapfel – Mit Gefühl für Oldenburg“, heißt es auf Plakaten an jeder zweiten Laterne) geschuldet ist. Es könne nicht sein, sagte denn auch Jochen Coldewey, im niedersächsischen Kultusministerium zuständig für Filmförderung, daß nur das Land Niedersachsen sich finanziell für das Filmfest engagiere. Mit 65.000 Mark hatte sich das Land beteiligt; zwei Drittel des Filmfest-Etats stammen aus Sponsorengeldern und Eigenmitteln.

Zwei Drittel Sponsoring und Eigenmittel

Mit der Folge, daß die beiden Veranstalter, Torsten Neumann und Thorsten Ritter, noch Schulden aus dem vergangenen Jahr drücken.

Was sie gleichwohl dankenswerterweise nicht davon abhalten konnte, auch im dritten Jahr wieder einige sehenswerte Premieren in der Originalfassung im Programm zu haben. Neumann und Ritter begnügen sich, anders als so manches Publikumsfestival, nicht damit, einfach eine Reihe von Filmen als Vorpremiere zu zeigen, die ohnehin in den folgenden Wochen offiziell ins Kino kommen. Sie recherchieren in der halben Welt nach schwierig aufzutreibenden Kopien, die dann – am besten mit den zugehörigen Filmemachern – nach Oldenburg geholt werden. Bloß wurmt es Thorsten Ritter, daß diese Mühe vom Publikum nicht genügend goutiert wird.

„Mercy“ von Richard Shepard ist so ein Beispiel. Den Thrillerstoff einer Kindesentführung nutzt Shepard, indem er den Vater der entführten Tochter auf Anweisung der Entführer von einem Viertel New Yorks zum andern hetzt, zu einer höchst überzeugenden Darstellung der jeweiligen neighbourhood. Spannend bis zum Schluß, besetzt mit einer glänzenden Darstel-lerriege, die genügend Raum für Zwischentöne bekommt, leistet sich „Mercy“ sogar einen unsympathischen Hauptdarsteller – Anlaß genug, daß Shepards Film von den großen Verleihern schließlich fallengelassen wurde und bislang nicht im Kino zu sehen war.

Wohltuenden Abstand von der gängigen Mainstream-Ware bot auch „Tollbooth“ von Salomè Breziner. Angesiedelt in den tropisch-heißen Florida Keys, kreist „Tollbooth“ – der Name für die Kassenhäuschen an gebührenpflichtigen Autobahnen – um die Geschicke eines Tollbooth-Kassierers, der versehentlich den verschollen gelaubten Vater der Frau tötet, die er heiraten will. Die jedoch will Tisch und vor allem Bett erst mit ihm teilen, wenn der Vater wieder aufgetaucht ist. Aus diesem Thema macht Breziner, die auch persönlich nach Oldenburg kam, eine reizvolle Groteske mit atmosphärisch dichten, eigenwilligen Bildern.

Publikumsliebling war wie im vergangenen Jahr Oldenburg-Stammgast Peter Lohmeyer, der gleich mit zwei Filmen auf dem Festival vertreten war. Im „Kondom des Grauens“, zur Zeit im Kino, mimt er den etwas linkischen Assistenten von Inspektor Maccharoni, der auf der Spur des schwanzbeißenden Killerkondoms ist. Weit entfernt von dieser weitgehend in seichten Gewässern dahindümpelnden Komödie ist dagegen „Die Mutter des Killers“. Ein konsequenter Genre-Film in schmutzigem Schwarz-weiß, gedreht dort, wo Hamburg am schmuddeligsten ist. Mit unverbrauchten witzigen Dialogen und einem Soundtrack, der die Story um einen totgeglaubten Schriftsteller, der plötzlich wieder auftaucht, zusammenhält. Und mit Peter Lohmeyer als Weichei mit harter Schale, der einfach zum Killer nicht taugt. „Die Mutter des Killers“ begrüßte das Oldenburger Publikum frenetisch; alle anderen haben Gelegenheit, das nachzuholen, ab Januar im Kino.

Schwierig einzuschätzen, wie die Oldenburger auf das sorgfältig zusammengestellte Programm reagieren würden. Zum Action-Thriller „Nobody Will Speak Of Us When We're Dead“ mit Victoria Abril in der Hauptrolle, der erfolgreichsten spanischen Produktion des vergangenen Jahres, verirrten sich bloß ein paar Dutzend Zuschauer.

Das Publikum, das unbekannte Wesen

Zu den beiden auf dem Filmfest vorgestellten SAT.1-Eigenproduktionen strömten dagegen die Gäste. Bei der einen lag's sicherlich an Götz George. In „Das Tor des Feuers“ gibt George einen vom BND verfolgten Sicherheitsbeamten, dem zur Last gelegt wird, einen Kollegen auf dem Gewissen zu haben. Von einem ehemaligen Stasi-Offizier aus dem Knast befreit, versucht George, seine Unschuld zu beweisen (Sendetermin: November). Läge George nicht gerade im Krankenhaus, wäre er nach Oldenburg gekommen. So kamen immerhin Regisseur Kaspar Heidelbach und ein weiterer Hauptdarsteller, der mehrere Jahre am Bremer Theater engagiert war: Klaus J. Behrendt. Um Mitternacht saß man zwanglos bei Tortilla-Chips und Sekt in der Festivallounge, gestiftet vom leicht angeschlagenen Privatsender, und freute sich, daß auch SAT.1-Produktionen langsam Qualität annehmen. Doch Ausnahmen bestätigten die Regel: „Seitensprung in den Tod“ von und mit Gabriel Barylli war ein schmieriges Melodram aus der Software-Entwickler-Branche. Kein Wort mehr darüber.

Ob es ein viertes Filmfest geben wird? Dessen sind sich Torsten Neumann und Thorsten Ritter, müde, fünf-Tage-bärtig und vom Festivalstreß gezeichnet, noch überhaupt nicht sicher. Das Festival war diesmal „Stadtgespräch“, glaubt Thorsten Ritter. Ob das was genutzt hat, bleibt abzuwarten, bis die Eintrittsgelder gezählt sind. Vielleicht lassen sich ja diesmal wenigstens die Schulden bezahlen.

Alexander Musik