Cooles Outfit, Handy am Ohr!

Und die Türkei ist doch fortschrittlich. Wir befinden uns im Zeitalter der Neuen Türkischen Welle. Ein Brief aus Istanbul (wird regelmäßig fortgesetzt)  ■ Von Amina Grün

Türken amüsieren sich gern. Wer dabei jetzt „Hamam“ denkt, liegt falsch, Kaffeehaus liegt schon richtiger. Ich meine nicht die stickigen, Männern vorbehaltenen Kaffeehäuser alten Stils. Längst schon frönt das moderne Istanbul einer neuen Café-Kultur.

Zum Beispiel mein Stammcafé, „Diwan“. Der orientalisierende Name trügt: „Diwan“ ist einer der ultimativen In-places für alle, die sehen und gesehen werden wollen. Im Herzen der mondänen Bagdad- Straße im dem anatolischen Teil Istanbuls gelegen, ist es seit jeher Knotenpunkt für alles, was Rang und Namen hat. Pardon, es muß heißen: was über Outfit, Zigaretten und Handy verfügt. Wir befinden uns im Zeitalter der „yeni dalga“, der Neuen Türkischen Welle, die als eine Art Pop-, Outfit- und Lebenskultur die türkischen Großstädte überschwemmt. In einer postmodernen Mischung aus Alt und Neu kombiniert sie orientalische Musikeinflüsse mit Rock und Pop, Fastfoodrestaurants mit türkischer Küche.

Despotisch herrscht ein farbenfroh-heiteres Modediktat auf Istanbuls Promenaden. Bei den Damen: Hautenge Bodyfits, denen Hungerkur und Push-ups zu Wirkung verhelfen, dazu Leggings (Nationalkleidung aller Türkinnen, unabhängig vom Alter) oder enganliegende lange „Fischröcke“ und Leinenschnürstiefel. Make-up und Hairstyling bis in die letzte Haarsträhne.

Bei den Herren dominieren in dieser Saison Anzüge der neuesten Designerkollektion (Armani und Versace bevorzugt) in bestechend grellbunten Farben. Nieder mit dem schwarzen Existenzialismus, diesen Sommer ist pinke Lebensfreude angesagt! (Böse Zungen in der türkischen Presse wollen die Farbenpracht dieser Herrentracht mit dem Erscheinungsbild des jamaikanischen Londoner Stadtteils Brixton verglichen haben). Derart ausgestattet bewegt man sich per Auto (möglichst Jeep) an die überfüllten In-Plätze, um bei Kaffee, Whisky und Zigarette dem süßen Nichtstun zu frönen.

Zugegebenermaßen leidet die südländische Beredsamkeit etwas an dem dauernden Mobiltelefongepiepe. Aber hinter der Sonnenbrille läßt sich jegliches „embarrassement“ verdecken. Cool den Hörer greifen und – möglichst mit Blick zur gelangweilten Partnerin – der Kommunikation frönen. War mobiles Telefonieren zunächst noch eine Männerdomäne, so haben die Damen während unzähliger Warteminuten Rache geschworen – und sich selbst ein „jep telefonu“ gekauft. Die Zahl der Café-Telefoniererinnen (typische Geste: ein Ohr zugehalten, eins am Handy) ist beachtlich gestiegen. Und da sage noch einer, die Türkei sei nicht fortschrittlich.