Heißt wirtschaftsfreundlich kriminalitätstolerant?

■ Die Finanzbehörden gehen zunehmend gegen ein Verbrechen vor, das ein in Deutschland beliebter und weithin akzeptierter Volkssport ist: Steuerhinterziehung

Ein wenig antikapitalistische Häme gefällig? Ein deutscher Unternehmer, steuersatzgeplagt, will eine halbe Million auf einem Konto im Ausland parken, ohne daß das Finanzamt davon erfährt. Seine deutsche Bank schlägt ihm vor, alles vollkommen anonym in Zusammenarbeit mit der Filiale in Luxemburg zu regeln: ohne großen Aufwand und selbstverständlich ohne Quellensteuer. Doch der vorsichtige Mann traut dem Angebot nicht – schließlich sind hiesige Banken neuerdings vor Hausdurchsuchungen nicht mehr sicher. Also bringt er das Geld persönlich in die Luxemburger Zweigstelle und zahlt es dort am Schalter ein. In seiner deutschen Hausbank wird niemand einen Beleg für diese illegale Aktion finden, denkt er sich.

Ein paar Monate später verlangt die Luxemburger Filiale 35 Mark Kontoführungsgebühren – und dafür, meint der Unternehmer, lohnt die Reise nach Luxemburg wirklich nicht. Also läßt er die paar Mark durch seine deutsche Bank überweisen. Wieder ein paar Monate später wird die deutsche Bank tatsächlich von Steuerfahndern gefilzt, und auch seine 35-Mark-Überweisung fällt auf. Nun wissen die Fahnder, daß der Mann in Luxemburg ein Konto besitzt. Sie kennen dank der Überweisung seine bankinterne „Referenznummer“ und können genau sagen, welches angeblich anonyme Konto ihm zuzuschreiben ist. Und schon bald bekommt unser Unternehmer Post von deutschen Strafverfolgern...

Uli Röhms „Schwarzgeld im Visier“ ist eine amüsante Reihung solcher Anekdoten von dummen Steuerkriminellen und cleveren Fahndern. So sollen schon Metzger erwischt worden sein, die angeblich nur ganz wenige Würste im Jahr verkauft hatten, dafür aber, wie die Steuerbeamten feststellten, riesige Mengen Wursthaut beim Großhändler bestellt hatten. Auf ähnliche Weise fielen Eisdielen mit „niedrigem“ Eisbecherumsatz durch einen gewaltigen Verbrauch von Deko-Papierschirmchen auf – ebenso wie Frisöre, die zwar nur wenige Einnahmen in ihren Kassen verbucht, dafür aber erstaunlich viel Kreppapier zur Herstellung von Halskrausen benötigt hatten.

Doch die netten Erfolgsstorys, die Uli Röhm erzählt, passen nicht so recht ins Bild, das er – völlig zu Recht – vom Arbeitsalltag in deutschen Steuerbehörden zeichnet. Denn die Politik hat in den siebziger und achtziger Jahren perfekt dafür gesorgt, daß dort möglichst wenig funktioniert. So melden alle deutschen Steuerbehörden dramatischen Personalmangel – obwohl zum Beispiel jeder Steuerfahnder pro Jahr gut eine Million Mark in die Staatskasse holt und damit zu den lukrativsten Beamten gehört, die ein Bundesland haben kann.

Die politische Logik hinter diesem Mangel ist vergleichsweise schlicht: Eine bessere Steuerfahndung würde viele Betriebe ärgern, die deshalb in andere Bundesländer oder ins Ausland abwandern könnten. Also gewährt ihnen die Politik durch miserable Ausstattung der Steuerbehörden einen „wirtschaftsfreundlichen“, das heißt kriminalitätstoleranten Standort.

Was das im Alltag der Steuerfahnder bewirkt, läßt sich bei Röhm detailliert nachlesen: Permanente Überlastung und ein Zwang, Fälle schnell zu erledigen, obwohl sie noch genauere Kontrollen brauchten. Gerade die überraschend erfolgreichen Durchsuchungen bei deutschen Großbanken drohen deshalb die Steuerfahnder lahmzulegen. So beschlagnahmten sie allein bei ihrem ersten Besuch in der Frankfurter Zentrale der Dresdner Bank 40.000 Buchungsbelege von Überweisungen nach Luxemburg und mußten zunächst ein Hotelzimmer mieten, um den Papierberg zwischenzulagern, wie Röhm schildert.

Nach diesem Auftakt 1994 waren noch diverse andere Banken fällig – eine Tochter der Bayerischen Hypothekenbank, das Kreditinstitut Merill Lynch, die Citibank und Anfang 1996 die Commerzbank, wo erstmals sogar in der Vorstandsetage Unterlagen beschlagnahmt wurden. Die Steuerfahnder werden noch jahrelang damit beschäftigt sein, so daß die Verfolgung der anderen Steuerkriminellen zu kurz kommt, lautet Röhms Fazit.

Doch diese Interpretation scheint ein wenig zu schlicht. Denn die seit zwei Jahren laufenden Durchsuchungen der Großbanken sind nicht nur ein quantitativer, sondern auch ein qualitativer Sprung: Erstmals wird umfassend in einer Branche ermittelt, die für ihre hervorragenden Beziehungen in die Ministerien von Bund und Ländern bekannt ist. Daß solche Ermittlungen ohne Wissen der zuständigen Finanzminister eingeleitet wurden, ist unvorstellbar – weshalb einiges für die Vermutung spricht, daß zumindest die Spitzen der Finanzministerien einen härteren Kurs gegen Steuerhinterzieher anpeilen. Doch wo hier die politischen Fronten verlaufen, diskutiert Röhm leider nicht. Felix Berth

Uli Röhm: „Schwarzgeld im Visier. Wie Schwarzgeld gemacht wird und wo die Steuerfahndung sucht“. Ueberreuter Verlag, Wien, 1996, 32 DM