■ Saddam Husseins Truppen marschieren auf Sulaymaniya
: Der König von Kurdistan

Die letzte Stunde Dschalal Talabanis im Norden Iraks scheint geschlagen zu haben. Sollten irakische Truppen die Stadt Sulaymaniya erobern, blieben Talabanis Patriotischer Union Kurdistans (PUK) nur noch einige Dörfer als Rückzugsgebiet. Doch die einst als progressives Gegenstück zu Massud Barsanis stark feudalistisch geprägter Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) rekrutiert die Mehrheit ihrer Anhänger unter der städtischen Bevölkerung Irakisch-Kurdistans. Mit der Vertreibung aus Sulaymaniya wäre der Weg der PUK ins Exil vorgezeichnet.

Glaubt man dem Bündnisgrünen Siggi (Barsani) Martsch, dann macht sich die KDP-Führung Hoffnung, anschließend in Gesamt-Irakisch-Kurdistan das Sagen zu haben. Massud Barsani wäre König der Kurden – freilich von Gnaden Saddam Husseins. Von einem freien Kurdistan brauchten die KurdInnen dann nicht einmal mehr zu träumen. Zwar mag der durch die internationale Isolation und zusehends aufbegehrende Militärs geschwächte Saddam Hussein bereit sein, dem Irak pro forma eine föderalistische Struktur zu geben. Geherrscht würde dennoch nach Bagdader Manier – und das heißt blutig.

Eine ähnliche kurdische „Autonomie“ gab es bereits vor dem Ende des zweiten Golfkrieges. In der „Hauptstadt“ Arbil tagte ein von Bagdad handverlersenes Regionalparlament, dessen vornehmste Aufgabe darin bestand, Direktiven aus Bagdad abzunicken. Währenddessen wurden die Wälder, die als Rückzugsgebiete für Guerilleros taugten, gerodet und Tausende kurdische Dörfer zerstört. Höhepunkt der Unterdrückung war der irakische Giftgasangriff auf die Stadt Halabdscha.

All dies weiß auch Massud Barsani. Seine Familie war massiv von der Kurdenverfolgung betroffen; die Dörfer des Barsan-Tals im Norden der Region wurden von irakischen Truppen geschliffen. Und dennoch sieht Barsani in Saddam Hussein derzeit einen verläßlicheren Partner als in PUK-Chef Talabani. Dabei sollte er von seinem Vater, dem legendären Kurdenführer Mustafa Barsani, gelernt haben, daß sich Saddam Hussein nur so lange an Abmachungen hält, wie sie ihm nützen. Die Geschichte läßt ahnen, daß der irakische Diktator, wenn er Talabani losgeworden ist, dem frisch gekrönten König von Kurdistan ein ähnliches Schicksal bereiten wird. Thomas Dreger