Bußgeld nicht bezahlt: Knast

■ Nächtliche Polizeiaktion bei jungem Findorffer bringt viele Wahrheiten ans Tageslicht

Scheinwerfer leuchten durch die Fenster eines kleinen Einfamilien-Reihenhauses in Findorff, Serghjoscha Schröter schreckt aus dem Schlaf hoch. Es ist kurz nach Mitternacht vor dem 28. August, erzählt er. Männer umstellen das Haus. Plötzlich klopft es im zweiten Stock an ein Mansardenfenster, „Was glauben Sie, wie ich mich da erschrocken habe“, sagt der 24jährige. Ein Mann sei dann durchs Fenster eingestiegen, um ihn zu verhaften. Seine Wohnung sei von Beamten der Findorffer Polizeiwache durchgewühlt worden. „Das ist eine ganz komische Geschichte“, resümiert Serghjoscha.

Diese „komische Geschichte“ schildern die Polizeibeamten in völlig anderem Licht: „So etwas habe ich in meiner ganzen Laufbahn noch nie erlebt“, habe ein Beamter nach dieser nächtlichen Verhaftungaktion erzählt, sagt Polizeisprecher Michael Kröff. Kurz nach zwölf seien die Beamten bei Serghjoscha erschienen, weil gegen ihn ein richterlicher Haftbefehl vorlag. Sein Vergehen: Er soll ein Bußgeld über 254 Mark wegen einer Ordnungswidrigkeit (Veränderungen an seinem Fahrzeug) nicht in voller Höhe gezahlt haben. „Das ist ganz normal bei Ordnungswidrigkeiten“, bestätigt die Bremer Staatsanwältin de Boer.

Da die Polizisten den Gesuchten tagsüber mehrmals nicht antrafen, hätten sie sich nachts auf die Socken gemacht. Im zweiten Stock entdeckten die Beamten Licht und seien deshalb aufs nachbarliche Dach geklettert. „Die Polizei muß sich vergewissern, daß jemand im Haus ist, sonst dürfen wir die Wohnung nicht aufbrechen“, erklärt Kröff diese Aktion. Dort habe ein Beamter dann einen Mann vor dem Fernseher erspäht. Doch als die Beamten schließlich im Haus waren – ein Mann soll nach mehrmaligem Klopfen doch die Tür geöffnet haben – konnte der Beamte das Fernsehzimmer im ganzen Haus nicht mehr finden. „Da war eine Geheimtür und ein Geheimzimmer“, so Kröff. Von dem fernsehschauenden Mann aber keine Spur mehr – die Beamten hätten die Wohnung daraufhin nach dem Flüchtigen durchsucht, „das hätte ja der mit dem Haftbefehl sein können“, erklärte Kröff. Später stellte sich jedoch der junge Schröter als der richtige Mann heraus. Er soll der Polizei auch die Tür geöffnet haben.

Serghjoscha jedoch kann die ganze Aufregung nicht verstehen: Das Bußgeld habe er am 7. August mit einer zweiten Rate bezahlt. Jetzt seien nur noch 54 Mark fällig. „Das glaubten die Beamten mir nicht“, so der 24jährige. Stattdessen sei er von der Polizeiwache Findorff in die Justizvollzugsanstalt Oslebshausen und schließlich in die JVA Blockland verfrachtet worden. „Den Haftbefehl haben sie mir erst auf der Fahrt gezeigt“, sagt der 24jährige, der nach seiner nächtlichen Odyssee von seinem Vater Jens Schröter schließlich gegen besagte 254 Mark freigekauft werden konnte.

„Private Rachgelüste“ will Vater Jens Schröter jetzt bei der Findorffer Polizei ausgemacht haben. Denn die hätten es schließlich jetzt auf Repressialien gegen ihn abgesehen. Schröters Geschichte begann bereits im März 1993. Damals hatte Schröter in Bonn gegen Sozialabbau demonstriert und sich dabei einen Verstoß gegen das Bannmeilengesetz eingefangen – die Haftstrafe wurde zunächst bis Januar 1996 ausgesetzt. Doch die Findorffer Polizeiwache, so Schröter, habe ihn nicht aus ihrem bundesweiten Fahndungscomputer gelöscht. Die Folge: Schröter wurde an der deutsch-polnischen Grenze verhaftet und landete in der brandenburgischen Justizvollzugsanstalt „Schwarze Pumpe“ in Spremberg. Das sollte ihm ein Trauma in einem der berüchtigsten Knäste der ehemaligen DDR bescheren. Ein Justizskandal, der für Wirbel sorgte. Deshalb hätten die Beamten seine Wohnung durchwühlt. „Die wollte mich eigentlich finden“, ist sich Schröter sicher.

„Christenverfolgung“ sei das in dieser Nacht nun wirklich nicht gewesen, wehrt Polizeisprecher Kröff ab. Die Schilderungen der Polizeibeamten hörten sich wahrlich nicht nach einer „Polizeijagd“ an – „die wollten doch bloß den Flüchtigen aus dem Geheimzimmer finden, weil es ja auch der mit dem Haftbefehl sein könnte“, erklärt Kröff. Dabei habe man natürlich auch die Wohnung durchsucht und Fotos gefunden. Und um die Verwirrung komplett zu machen: Auf den Fotos erkannten sie Vater Jens als Flüchtigen, der sich wohl auf dem Dachboden verschanzt haben muß. Doch Jens Schröter gab an, daß er erst um halb zwei Uhr nachts nach Hause kam. „Wie in einem Agatha-Christie-Film“, so Staatsanwältin de Boer. „Vielleicht gibt es ja auch mehrere Wahrheiten“, sinniert Polizeisprecher Kröff und denkt an seine Studienzeit: Da habe ein Psychologieprofessor einen Apfel in die Luft gehalten und den könne man wahrlich von ganz unterschiedlichen Blickwinkeln aus betrachten. kat