Keine schlaffe Routinemuckerei mehr

■ Das Philharmonische Staatsorchester sorgt in neuer Besetzung für Furore / Einmalige kulturpolitische Konstruktion / Auf dem Programm: vor allem Werke der Jahrhundertwende

Es gibt Menschen, die die Konzerte unseres Philharmonischen Staatsorchesters entweder aus eigener Erfahrung oder übers Hörensagen für schlaffe Routinemuckerei hielten. Doch spätestens seit dem 1995 erfolgten Engagement des Generalmusikdirektors Günter Neuhold ist Umdenken angesagt. Schon in der Spielzeit 1995/96 hat es Spitzenleistungen gegeben, für die nicht nur die Dirigenten, sondern vor allem die fundamentale Erneuerung der MusikerInnenriege verantwortlich war:

Nahezu vierzig Prozent junge Leute wurden nach Pensionierungen und Besetzungen der jahrzehn

Neubesetzung jahrzehntelanger Vakanzen

telangen Vakanzen engagiert. Und Günter Neuhold zeigt auch auf sich selbst bezogen eine andere Stellenmoral als manche seiner Vorgänger, die Bremen nur unter dem Aspekt interessierte, als „Generalmusikdirektoren“ ein repräsentatives Sprungbrett für angeblich Besseres zu haben. Menge und Niveau der Proben haben schon in der vergangenen Spielzeit sowohl den Klangkörper an sich als auch die Virtuosität und die Intensität der Interpretationen so verändert, daß musikalische Sternstunden nicht mehr nur bei der Deutschen Kammerphilharmonie zu erleben sind.

So konnte es nicht ausbleiben, daß auch „unsere“ Philharmoniker erstmals beim Musikfest vertreten sind und sich so internationaler Konkurrenz im direkten Vergleich stellen.

Als Thomas Albert, Initiator des Musikfestes, anläßlich der Pressekonferenz zum diesjährigen Programm von einem lokalpatriotischen Journalisten provokativ gefragt wurde, ob er denn erst jetzt gemerkt habe, daß auch das Philharmonische Staatsorchester nicht so schlecht ist, antwortete er trocken: „Nein. Die Situation ist von Grund auf verändert“.

Dieser Eindruck bestätigt sich bei der Durchsicht des Programmes der Philharmonischen Gesellschaft für die Saison 1996/97. Die in der Welt wohl einmalige kulturpolitische Konstruktion dieses Orchesters – bis auf die Gehälter der MusikerInnen wird alles vom privaten Trägerverein „Philharmonische Gesellschaft“ getragen – hat Günter Neuhold angenommen und mit dem höchst engagierten und neu motivierten Laienverein zusammengearbeitet. Von zwölf Konzerten – die ersten noch im Congress Centrum – dirigiert er gleich fünf und interpretiert vornehmlich Literatur um die letzte Jahrhundertwende: Liszt, Ravel, Debussy, Mussorgski, Rachmoninow, Strawinski. Neben einem Werk der russischen Komponistin Sofia Gubaidulina und der brasilianischen Komponistin Alizia Terzian, Werken von Berhold Goldschmidt und Karlheinz Stockhausen wird es eine Uraufführung mit einem Werk von Matthias Pinscher geben: daß die Philharmoniker sich fortan auch in der Moderne profilieren wollen, ist kein Zweifel. Höhepunkt des ambitionierten Programmes – das vielversprechende bremische Debuts bietet – ist aber sicher die Wiedergabe von Gustav Mahlers monumentaler „Auferstehungssinfonie“ mit dem Chor des Bremer Theaters und dem Chor des NDR.

Abhängig von privaten Spenden

Die von privaten Spenden abhängige Gesellschaft kann davon profitieren, daß mit diesem Werk im Februar 1997 die Glocke eröffnet wird, sonst wäre eine solche Aufführung nicht möglich.

Man kann nur hoffen, daß auch die Kammerkonzerte, die sämtlich in der Waldorfschule stattfinden, vom neuen Renommée des Orchesters profitieren, denn deren Publikum ist hoffnungslos überaltert. Von den acht Konzerten werden nur noch vier von Streichquartetten bestritten, was der ehemals auf Steichquartette allzusehr festgelegten Reihe bestens bekommt: Da ist zum Beispiel das fabelhafte Wiener Streichsextett zu hören, das Stuttgarter Klaviertrio und das Linos-Ensemble. Mit Spannung erwarten darf man auch die zwei Jugend- und Rathauskonzerte, bei denen sich diesmal die vierzehnjährige Geigerin Julia Fischer vorstellt.

Ein Programm also, das es in sich hat. Wer an den Konzertterminen verhindert ist, hat übrigens die Möglichkeit, Generalproben zu besuchen und wird so das Urteil betätigen können: Musikstadt Bremen – nicht mehr ohne das Philharmonische Staatsorchester.

Ute Schalz-Laurenze