■ Mit dem Befehl zur Bombardierung irakischer Stellungen wehrt sich US-Präsident Clinton auch gegen den Vorwurf der Führungsschwäche. Eine Veränderung der Machtverhältnisse im Irak wird nicht erreicht.
: Angriff im Wahlkampf

Mit dem Befehl zur Bombardierung irakischer Stellungen wehrt sich US-Präsident Clinton auch gegen

den Vorwurf der Führungsschwäche. Eine Veränderung der Machtverhältnisse im Irak wird nicht erreicht.

Angriff im Wahlkampf

Der Wandel vom Wahlkämpfer zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte war schnell vollzogen: Am Montag nachmittag hatte Bill Clinton in Wisconsin noch Hände geschüttelt, Wangen getätschelt und den Irak mit keinem Wort erwähnt. Am Montag abend stieg er mit ernster Miene aus dem Hubschrauber vor dem Weißen Haus und unterzeichnete den Befehl zur Bombardierung militärischer Stellungen im Südirak. Als „Aktion mit begrenztem Schaden für Menschen“ beschrieb der US-Präsident gestern Journalisten und Fernsehzuschauern den Einsatz von 27 Cruise-Missiles gegen Flugabwehrstellungen und Kommunikationszentren der irakischen Armee. Man habe Saddam Hussein klarmachen wollen, daß er für „jeden Gewaltakt gegen sein Volk und für jede Drohung gegen seine Nachbarn einen Preis zu zahlen hat“.

Als Rechtfertigung für den Militäreinsatz zog Clinton die UN-Resolution 688 heran, worin die Achtung der Menschenrechte aller irakischen Bürger durch das Regime in Bagdad gefordert wird. Die Resolution wurde 1991 verabschiedet, nachdem die irakische Armee gegen aufständische Kurden und die Zivilbevölkerung vorgerückt war. Der Einmarsch „Republikanischer Garden“ in die Kurdenregion Ende letzter Woche war der bislang massivste militärische Einsatz innerhalb der Flugverbotszone.

Daß die US-Raketen auf den Süden Iraks abgefeuert wurden, begründete Clinton damit, daß sich dort das größere militärische Potential „zur Bedrohung“ von Nachbarländern wie Saudi-Arabien und Kuwait befände. Der US- Präsident kündigte zudem an, daß die Flugverbotszone im Süden von der Grenze zwischen Irak, Saudi- Arabien und Kuwait bis zum 33. Breitengrad – 50 Kilometer von Bagdad – ausgedehnt würde. Das im Mai zwischen der UNO und Bagdad erzielte Abkommen über den Export von irakischem Öl für Lebensmittel und Medikamente wollen die USA solange stornieren, bis die irakische Armee jegliche Kontrolle über besetztes Territorium im Norden aufgegeben hat.

Wahlkampftaktische Erwägungen spielten bei der Entscheidung für einen Militäreinsatz eine gewichtige Rolle. Bob Dole, Clintons Kontrahent und Spitzenkandidat der Republikaner, hatte dem Präsidenten angesichts des ungehinderten Vormarschs irakischer Truppen in die Verbotszone „Führungsschwäche“ vorgeworfen. Daß es Saddam Hussein gelungen sei, für seinen jüngsten Vorstoß die Kurdische Demokratische Partei (KDP), eine der beiden verfeindeten Kurdenorganisationen, auf seine Seite zu ziehen, demonstriere an sich schon ein „Versagen“ amerikanischer Außenpolitik. Gestern früh stellte sich Dole allerdings mit dem gebührenden Patriotismus hinter „unsere Männer und Frauen in Uniform“.

Nun war auch Doles Kritik zweifellos von Wahlkampftaktik motiviert. Doch sie ging der Clinton-Administration tiefer unter die Haut, weil sie auch sachlich berechtigt war. Verletzungen der Flugverbotszone durch türkisches, iranisches und irakisches Militär wurden in der Vergangenheit gnädig übersehen. Warnungen über einen bevorstehenden großen Einmarsch der irakischen Armee schenkte man zwar in einigen Abteilungen des US-Außenministeriums, nicht aber im Weißen Haus Beachtung. Die Vermittlungsversuche Washingtons zwischen der KDP des Kurdenführers Massoud Barzani und der rivalisierenden Patriotischen Union Kurdistans (PUK) Jalal Talabanis waren halbherzig und erfolglos. Daß Talabani, der sich als der „proamerikanischer“ Fraktionsführer im Kampf der Kurden versteht, nun sein Heil ausgerechnet beim US- Erzfeind Iran sucht, ist eine ebenso bitter-ironische Konsequenz wie die Kooperation Barzanis mit dem Kurdenmörder Saddam Hussein. Darüber hinaus fällt die jüngste Militäraktion der Supermacht USA in eine Phase wachsender Unsicherheit über ihre Rolle im Nahen Osten – hervorgerufen durch eine Kette von Ereignissen und Entwicklungen: Terroranschläge im verbündeten Saudi- Arabien gegen US-Stützpunkte, wachsenden Risse im Friedensprozeß zwischen der PLO und Israels neuer Regierung, der Antritt einer islamisch geführten Regierung in der Türkei sowie die zunehmenden Streitereien mit europäischen Verbündeten über den Umgang mit Libyen, Iran und Irak.

Diese Verwicklungen und Komplikationen wurden gestern in der üblichen Live-Krisenshow von CNN nicht beleuchtet. Statt dessen wurden die Zuschauer wieder einmal Zeugen der neuen Fernseh-Live-Diplomatie, als Iraks stellvertretender Außenminister Tarik Asiz per Konferenzschaltung via CNN einigen Mitgliedern des US- Kongreß erklärte, daß es für die USA keinen Anlaß zum Bombardement gegeben habe. Die zeigten sich ebenso beeindruckt wie die Militärexperten, die Interviews gaben und die Zielgenauigkeit amerikanischer „Tomahawk“-Raketen rühmten. Berichte über „Nebenschäden“, wie im Militärjargon Zivilopfer genannt werden, gab es bis dahin noch nicht. Andrea Böhm, Washington