US-Raketen gegen Saddam

■ Reaktion auf Offensive in Kurdenregion: USA feuern 27 Marschflugkörper auf Irak und erweitern Flugverbotszone bis kurz vor Bagdad. Saddam Hussein will Flugverbot ignorieren

Bagdad/Washington (AFP/rtr/dpa/taz) Um 9.25 Uhr Ortszeit heulten gestern in Bagdad die Sirenen. Doch nichts passierte. Als die Einwohner der irakischen Hauptstadt den staatlichen Rundfunk einstellten, hörten sie dort patriotische Lieder – im informationsarmen Irak ein untrügliches Zeichen, daß etwas nicht in Ordnung ist. Tatsächlich schlugen zu dem Zeitpunkt in Militärbasen im Süden des Landes US- Marschflugkörper ein – exakt 27 meldete später das Pentagon. Die Geschosse wurden von zwei US-Schiffen am Golf und B-52-Bombern, die in der Nacht von der Pazifikinsel Guam gestartet waren, abgefeuert. Ziel der Aktion: Eine Warnung an Saddam Hussein, keine neuen Attacken gegen die irakischen Kurden anzuordnen.

Doch die Aktion könnte den gegenteiligen Effekt haben. Nach dem Angriff erklärte US-Präsident Bill Clinton, die Attacke diene der Vergrößerung der südirakischen Flugverbotszone. Künftig dürften irakische Flugzeuge nicht mehr südlich des 33. Breitengrades fliegen. Bisher galt die Flugverbotszone erst ab dem 32. Breitengrad. Mit der Ausweitung rückt sie bis auf etwa 50 Kilometer an Bagdad heran. Saddam Hussein erklärte daraufhin die „verfluchten“ Flugverbotszonen für „nichtig“. Jedes Flugzeug der Alliierten werde ab sofort abgeschossen. Der Weg der Eskalation ist damit vorgezeichnet.

Laut Iraks Vizepremier Tarik Asis soll der US-Angriff 5 Tote und 19 Verletzte gefordert haben, die meisten Zivilisten. Völlig unklar ist, ob die US-Raketen die irakische Armee von weiteren Angriffen auf Irakisch-Kurdistan abhalten. Zwar erklärte Tarik Asis gestern, der Abzug der irakischen Truppen aus Kurdistan werde bis Donnerstag beendet sein, kurdische Augenzeugen berichteten jedoch von weiteren heftigen Kämpfen.

Clinton teilte in seiner kurzen Ansprache mit, er werde die vom Sanktionsausschuß des UN-Sicherheitsrat gebilligten begrenzten Ölverkäufe Iraks verhindern. Der „Öl für Lebensmittel“ genannte Handel werde erst stattfinden, wenn garantiert sei, daß er auch der notleidenden irakischen Bevölkerung zugute komme.

International löste die US-Aktion geteilte Reaktionen aus. Während die meisten EU-Staaten einschließlich Deutschland, sich voll an die Seite der USA stellten, kam aus Frankreich unerwartet scharfe Kritik. Man sei „beunruhigt“, hieß es in Paris und verwies darauf, daß Bagdads Intervention gegen die Kurden „auf eigenem Gebiet des Iraks und auf eine schriftliche Bitte einer der wichtigsten kurdischen Bewegungen“ erfolgt sei. „Wir sehen nicht, daß die UN-Resolutionen dadurch in Frage gestellt worden sind“, erklärte das Außenministerium.

Ähnliches war aus Rußland zu hören: Moskaus Haltung zu Gewaltaktionen könne „nur negativ sein“, stellte ein Sprecher des Außenministeriums fest: „Die Lage kann außer Kontrolle geraten.“ Auch China äußerte „große Sorge“ und verlangte Respekt vor der Souveränität und territorialen Integrität des Iraks.

Die Arabische Liga sprach von einer rechtswidrigen Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Mitglieds. Militärische Gewalt werde Spannungen und Instabilität sowie die Bedrohung der Zivilbevölkerung verschärfen, stellte auch die ägyptische Regierung fest.

Natogeneralsekretär Javier Solana dagegen nannte den Angriff „gerechtfertigt und angemessen“, nachdem Bagdad UN- Resolutionen „dreist und schwerwiegend verletzt“ habe. Die Bundesregierung in Bonn zeigte „volles Verständnis“ für das Vorgehen der US-Regierung. Großbritanniens Verteidigungsminister Michael Portillo enthüllte gar, sein Land habe die US- Militärs „logistisch unterstützt“.

Das irakische Oppositionsbündnis „Irakischer Nationalkongreß“ (INC) begrüßte den US-Angriff. „Wir hoffen, daß die heutige Operation Saddams Invasion in das irakische Kurdistan zur Umkehr bringt und die massiven Verletzungen an Menschenrechten, die dort stattfinden, ein Ende haben“, erklärte der Chef des INC, Achmed Chalabi. Ähnlich äußerten sich auch Vertreter der Patriotischen Union Kurdistans, die Hauptleidtragenden des irakischen Angriffs auf die kurdische Hauptstadt Arbil. Einzig die Demokratische Partei Kurdistans (KDP) zeigte sich „geschockt“. Ihre Peschmerga hatten in Arbil Seite an Seite mit den Irakern gekämpft. taud Tagesthema Seite 3