Zufällig auch eine Frau

■ "Antonias Welt" ist eine, in der Frauen die Regeln machen, säen, ernten, malen und lehren. Eine Vorschau und ein Interview mit der Regisseurin Marleen Gorris

Marleen Gorris erhielt in diesem Jahr für „Antonias Welt“ als erste Frau überhaupt einen Oscar in der Kategorie „Bester ausländischer Film“. „Antonias Welt“ läuft in den USA mit überraschend großem Erfolg und wurde überdies in 25 Länder verkauft. Die Regisseurin wurde 1948 in den Niederlanden geboren. Sie studierte Englisch und Theaterwissenschaften.

Zum Film: Antonia ist Mitte Dreißig, als sie zusammen mit ihrer Tochter Danielle in ihr Heimatdorf zurückkehrt, um den Hof ihrer Mutter zu übernehmen. Antonia pflanzt, Danielle malt, Kinder werden geboren, Alte sterben – ein endloser biologischer Kreislauf.

„Antonias Welt“ ist eine Familiensaga, die von fünf Generationen Frauen erzählt und in einem ebenso kunstvoll entworfenen wie künstlichen Paradies spielt. Natürlich eine Utopie, mehr noch: ein Märchen. Die Entschiedenheit, mit der sich Antonia den patriarchalischen Regeln des Dorflebens widersetzt, um sie erfolgreich zugunsten der Frauen zu ändern, hätte sie in Wirklichkeit ihr Leben kosten können. Marleen Gorris' Traum heißt Toleranz. Ob Mutter, Bücherwurm, Bauer oder Künstlerin – in Antonias Welt ist Platz für viele Lebensentwürfe. Geist und Natur, lesbischer Subplot und die Integration geistig Behinderter koexistieren freundlich-friedlich und äußerst humorvoll miteinander. Als Danielle sich ein Kind wünscht, sucht sie sich einen Prinzen mit guten Genen aus und macht nach der Zeugung einen Handstand, damit der Samen hübsch tief rutscht. Darin liegt eindeutig mehr Augenzwinkern als esoterische Vollmondspinnerei. Und doch: Was für ein seltsames Leben wäre das wohl, wenn eine Frau – so wie in „Antonias Welt“ – nie einen Fehler machen würde?

taz: „Antonias Welt“ ist ein Film über Frauen, mehr noch über ideale Frauen. Sie gehen einander nicht auf die Nerven, beneiden sich nicht, sind tolerant, stark, meistern den Alltag und leben ihre Träume. Ist das Ihre persönliche Vision eines Zusammenlebens?

Gorris: Ich habe nur versucht, einen Film zu machen, das heißt eine Geschichte zu erzählen. „Antonias Welt“ hat nichts mit der Realität zu tun. Die Realität ist für den Alltag reserviert. „Antonias Welt“ handelt davon, was möglicherweise in einer idealen Welt geschehen könnte – und wie anders das sein könnte. In dem Sinne ist „Antonias Welt“ ein Märchen. Alle Märchen handeln von der Welt, wie wir sie gern hätten.

Die Akademie und Hollywood sind nicht unbedingt berühmt für ihren Avantgardismus. Hat es Sie nicht überrascht, daß ein Film mit so explizit feministischem Gehalt wie „Antonias Welt“ mit einem Oscar geehrt wurde?

Der Oscar war natürlich eine angenehme Überraschung, die ich überhaupt nicht erwartet hatte. Schon die Nominierung war eine Überraschung für mich und daß so ein Film dort drüben überhaupt bemerkt wird. Für mich als Regisseurin macht das vieles einfacher, was meinen nächsten Film angeht – die Verfilmung von Virginia Woolfs „Mrs. Dalloway“. Vanessa Redgrave wird die Hauptrolle spielen; das Drehbuch stammt von Eileen Atkins, einer in England sehr bekannten Schauspielerin. Aber zurück zu „Antonias Welt“. Das ist ja nicht nur ein Film über Frauen, sondern auch einer über die grundlegenden Dinge dieser Welt: Leben und Tod, geboren werden und sterben, Liebe und Haß. Das spricht natürlich ein größeres Publikum an.

Glauben Sie, daß die sogenannten Frauenfilme im Moment eine gewisse Konjunktur erleben? Ich denke da an „Ein amerikanischer Quilt“, „Moonlight & Valentino“, „Emma“ oder auch „Spitfire Grill“.

Keine Ahnung. Aber wenn es in einem Film gute Rollen für Frauen gibt, wird es gewöhnlich auch insgesamt ein guter Film. Behaupte ich jedenfalls. Viele amerikanische Schauspielerinnen beschweren sich bekanntlich darüber, daß die Filme so wenig Möglichkeiten für Frauen bieten, schon gar nicht für ältere Schauspielerinnen.

„Antonias Welt“ ist in dörflicher Umgebung angesiedelt, was den idealisierenden Eindruck noch verstärkt. Warum haben Sie sich für dieses Setting entschieden?

Ich habe einen Haufen Filme gemacht, die in der Stadt spielen – warum also nicht mal was anderes? Eine tiefere Bedeutung im Sinne von bukolisch oder Idylle hat das nicht.

Feminismus scheint eins der Unworte der neunziger Jahre zu sein. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Nun, Moden und Begriffe entwickeln sich wie Wellen. Eine Zeitlang sind sie populär, dann verschwinden sie, um irgendwann wiederzukehren. In fünf Jahren wird der Begriff „Feminismus“ vielleicht wieder beliebter sein.

Warum glauben Sie das?

Weil das gewöhnlich so vonstatten geht. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Die Männer in „Antonias Welt“ sind in gewisser Weise plump und tölpelhaft, nur Außenseiter wie der dem Zölibat abschwörende katholische Priester, der Dorftrottel und der pessimistische Stubenphilosoph verdienen Sympathie. Frauen hingegen scheinen die Erlösung zu sein – es wird einmal sogar von der Kanzel gepredigt.

Oh nein, das stimmt nicht! Die Bibel wird zitiert – eine literarische Quelle, die ironisch benutzt wird, nichts weiter. Ich persönlich glaube nicht, daß Frauen die Erlösung sind.

Sie bezeichnen sich selbst als Feministin, wollen aber mit dem Feminismus als Bewegung nichts zu tun haben. Warum nicht?

Ich lese überhaupt keine feministischen Autorinnen wie Faludi, Paglia, Steinem oder wie die alle heißen. Schließlich habe ich andere Dinge zu tun – ich mache Filme. Ich denke nicht ständig über Frauenfragen nach oder debattiere darüber. Daß ich Feministin bin, fließt – nun ja – irgendwie automatisch in meine Arbeit ein: Es ist einfach da. Am Feminismus bin ich nicht besonders interessiert, ja, ich bin nicht einmal daran interessiert, über Feminismus zu sprechen. Es ärgert mich einfach, wenn Gedanken generalisiert – und vereinfacht werden. Ich bin nie Teil einer bestimmten Bewegung gewesen, denn es gibt keine „Bewegungen“ in dem Sinne, gab es nie. Feminismus ist für mich ein Lebensstil, eine gegebene Sache. Ich bin ein Regisseur, der zufällig auch eine Frau ist.

Interview: Anke Westphal

„Antonias Welt“. Regie: Marleen Gorris. Kamera: Willy Stassen. Mit Willeke van Ammelroy, Els Dottermans, u.a., Niederlande/Belgien/England 1995, 100 Min.