Satirische Phantasie ist anarchisch

■ betr.: „Täterhumor“ von Vera Lengsfeld, taz vom 21. 8. 96

Es gab in der DDR also auch keine Schülerzeitungen, in denen man sich vorstellen oder malen durfte, wie die Lehrer mit (oder Marx und Engels ohne) Bart aussehen würden. Hätte es sie aber gegeben, fällt es nicht schwer, sich Vera Lengsfeld als willige Vollstreckerin, das heißt als wirklich besorgte antifaschistische Lehrkraft vorzustellen, die sich nicht gescheut hätte, eine solche Barbiertat gnaden- und verständnislos als „faschistisch“ zu brandmarken, da ja auch den Juden ... Ich weiß nicht, welchen Beruf Frau Lengsfeld in der DDR hatte. Zur Zeit sitzt sie allerdings im Bundestag und kann, wie man gesehen hat, sehr viel mehr Dinge anrichten, als die taz und ihre Autoren es je könnten.

Der Vergleich mit der Schülerzeitung ist also nicht zufällig. Denn was Satire darf und was nicht, hängt unter anderem von der gesellschaftlichen Position ab. Und nichts könnte dies deutlicher machen als der von Lengsfeld verwendete Begriff „Täterhumor“.

[...] Normalerweise aber sind Täter diejenigen, die die Macht haben, etwas zu tun, und Opfer die, die machtlos zusehen müssen. Kennzeichen einer Satire ist, daß innerhalb dieser Konstellation durch pure Maulhuberei das Ganze fiktiv umgekehrt wird: Der Machtlose ist in der Welt seiner Fiktion obenauf, und die, die sonst oben sind, nun unten. So auch in diesem Roman: Opfer sind die, die in der realen Welt Täter sind: nämlich diejenigen, die – mit oder ohne bundestägliches Briefpapier – uns in den Medien mit ihren Platitüden zumüllen, während ihre fiktive Massakrierung ohnmächtige Phantasie derer bleibt, die dies austragen müssen. Der „Barbier von Bebra“ ist ein typisches Beispiel von Opferhumor, denn die „Opfer“ der Satire sind es ja nur innerhalb der literarischen Fiktion.

Wenn Sie sich schon auf Biermann beziehen, dann beachten Sie bitte auch, daß er eine ganz ähnliche Unterscheidung vornimmt, was die Erlaubtheit von Polemik betrifft. Sie ist die legitime Waffe des Opfers, das wenig mehr tun kann, als zum Beispiel Strauß eine Drecksau zu nennen. Aus dem gleichen Grund, erklärte Biermann seinerzeit bei einem Konzert, ist es eben nicht das Gleiche, wenn Strauß seine Gegner „Ratten“ und „Schmeißfliegen“ nennt.

„Satire“ von oben gibt es nicht, höchsten Zynismus, „Täterhumor“ eben. Weil das so ist, gibt es immer wieder den Versuch, sich selbst zum Opfer zu stilisieren, um so der Satire zu entgehen oder für sich selbst Narrenfreiheit zu beantragen. Wenn ein MdB einem Redakteur der taz mit Boykott droht, ist das genauso peinlich. Denn auch der Boykott ist eine Waffe von unten. Von oben durchgeführt nennt man es Kanonenbootpolitik.

Aus diesen Gründen dürfte auch klar sein, warum Dutschke keinesfalls „passendes“ Objekt von Henschel und Droste wäre: Er war nie oben und starb, bevor er – vielleicht – im Bundestag oder in Talkshows seinen Kredit verquatschen konnte (was ich bezweifle: Wer so sprach wie Dutschke, konnte auch denken).

Im übrigen sollte man beim Faschismusverdachtsspiel, ähnlich wie beim Doppelkopf, vielleicht erst einmal offenlegen, nach welchen Regeln eigentlich gespielt wird. Falls Sie nicht verstehen sollten, was ich damit meine, nehme ich einfach Ihren Text, Frau Lengsfeld, als Beispiel und wähle die sozialpsychologische Variante:

Da erhält die ersten Punkte die Kandidatin Lengsfeld (gemessen wird nach der F-Skala, nachzulesen in Adornos Studien über den autoritären Charakter, Stichwort u.a. „Projektivität“).

Jeder weiß, daß die Zwangsrasur ein Akt symbolischer sexueller Gewalt unter Männern ist. Droste/ Henschel machen damit klar: Wir sind potent; und Fuchs, Thierse, Eppelmann und Co haben nur Zwiebeln im Sack. Es geht ihnen aber nicht um sexuelle, sondern um Medienkonkurrenz: Die fiktive Rasur ist Aufforderung an das Publikum, sie als das anzusehen, was sie nach Meinung von Droste und Henschel sind: Intellektuelle Flachwichser, deren dummes Geschwätz sie an jeder normalen Theke vereinsamt bleiben lassen würde, hätten sie es nicht geschafft, auf andere Weise sich einen ungebührlich hohen Platz in der Hierarchie zu sichern, der ihre heutige Medienpräsenz erklärt (was immer sie bis '89 für Verdienste gehabt haben mögen).

Dies nun nicht erkennen zu wollen, sondern das Attribut „sexuell“ als „jüdisch“ zu camouflieren, bringt die ersten Punkte: den ersten für gute deutsche Tradition, den zweiten dafür, die auf der Hand liegende sexuelle Analogie geleugnet, den dritten, sie mit Attributen des Tödlichen (KZ, Gulag) versehen zu haben. Viva la muerte!

„Offenbar schützt eine antifaschistische Ideologie nicht vor faschistischen Entgleisungen“, schreiben Sie, und fast möchte man Ihnen recht geben, wenn ich Ihren Text lese: Doch zum einen gibt es die von Ihnen fantasierte explizite „antifaschistische Ideologie“ der beiden gar nicht. Sie arbeiten nämlich literarisch, das heißt, sie versuchen, allzu fest sitzende Schrauben in den Köpfen ihrer Leser etwas zu lockern und die bereits losen für alle hörbar zum Rappeln zu bringen. Mit Erfolg, wie Ihre Reaktion beweist, und so ziemlich das Gegenteil jedweder Ideologie. Zum zweiten schlage ich vor, die Verwendung des Wortes „Entgleisung“ im Zusammenhang mit „faschistisch“ mal mit einem guten Therapeuten zu besprechen.

Das, was ich eben durchgespielt habe, ist natürlich nicht mein Ernst. Ich muß überhaupt nichts ernst meinen, solange ich nicht ernsthaft etwas zu verantworten habe. Ich sitze nicht im Bundestag, erhalte keinen Platz in der Zeitung angeboten, um meine Meinung unters Volk zu bringen, und Ihr Therapeut bin ich auch nicht. Also mache ich Witze, um Sie ertragen zu können. Hier im Westen, wo jeder das Recht hat, soviel Scheiß reden zu dürfen, wie er will, macht man das so, ohne sich im DDR-Kindergarten-Tanten-Stil sich was „fragen lassen“ zu müssen.

Solange Droste und Henschel „unten“ bleiben, ist Satire ihr Recht. Und solange Sie oben sind, müssen Sie es hinnehmen, daß böse Buben Ihnen Bärte anmalen oder im Geiste rasieren. Größere Kleingeister als Sie, zum Beispiel Alexander in seiner Begegnung mit Diogenes, haben das verstanden und zu ertragen gelernt.

Satirische Phantasie ist anarchisch, und das Stück, in dem Sie unwissentlich auch eine komische Rolle übernommen haben, ist nicht neu. Es ist nicht von Droste allein und eigentlich auch nicht von Dostojewski. Aber bei ihm erhielt es in dem Dialog zwischen Christus und dem Großinquisitor seine klassische Ausformung: MdB Lengsfeld als literarischer Inquisitor und Droste in seiner schon mehrfach erprobten Jesusrolle: Er leidet an dieser Welt, in der es eben nicht nur Hunger und Elend, sondern zum Beispiel auch Günther Strack im Fernsehen zu sehen gibt. Wiglaf tut dies, wie seit Jahren schon, stellvertretend für alle, also auch für die, denen das nie ein Problem war. Ein intelligenter Inquisitor ließe ihn laufen. Wer diese Einsicht nicht beherzigt, blamiert sich eben. Bernhard Becker-Braun, Essen

Wie habe ich mich anfangs beölt über den Bartmörder und den meines Erachtens voll verspießerten Boykottaufruf gegen die taz. War doch alles ganz witzig, soll noch einer sagen, die Deutschen sind humorlos – bis auf 'n paar ewig „Betroffene“!?

Dann las ich Vera Lengsfelds Erklärung ihrer Auffassung und mich überkam ein gewisses Nachdenken. Daß unsere meisten selbsternannten Humorfredis von Wigald bis Wiglaf mit den Zwangsneurosen eines ewigen Klassenkaspers gesegnet sind, ist wohl klar, wie sehr aber in dieser Schein- Satire, unabhängig vom Stil, eine Grenze von Moral überschritten wird, nicht. Droste war nie im Knast dafür!!! Haha. Jürgen Schierholz, Bremen

Gibt es denn ein schöneres Beispiel für die Qualifikation zur Volksvertretung? Frau Vera Lengsfeld fordert den Boykott der taz, weil sie seit einem Monat täglich einen Beitrag enthält, dessen Sprachgebrauch ihren Unmut erzeugt. Grund genug, kurzfristig zu denken. Auf dem Teller liegt momentan das mögliche Verschwinden der taz aus der Medienlandschaft. Zu überdenken, was hinter dem Tellerrand wartet, war noch nie die Stärke derer, die selbst in der sogenannten Regierungsverantwortung keine tatsächlich greifbare Verantwortung übernehmen müssen.

Alle zu sanktionieren, wenn einige – in diesem Falle zwei Autoren – aus dem Rahmen der subjektiven Befürwortung fallen, ist natürlich nur dann verwerflich, wenn dies von Polizeipräsidenten oder Innenministern gefordert oder durchgeführt wird. So weit, so typisch. Politik wird eben immer das Messen mit mindestens zweierlei Maß bleiben.

Es ist aber auch ein noch höheres Niveau an Qualifikation zur PolitikerIn denkbar: Der ungezügelte Drang in die Medien. Nicht erst wenn das Ziel erreicht und die taz durch einen Boykottaufruf zur richtigen Zeit ruiniert wäre, würde Vera Lengsfeld bekannt. Damit erfüllt Frau Vera Lengsfeld einige der wichtigsten Voraussetzungen um zweifelsfrei dem Establishment zugerechnet zu werden. Ralf Kirchhoffer, Karlsruhe

Den Barbier von Bebra finde ich blöd, bescheuert und ärgerlich. Mist. Christa Blum, Aachen

Na, herzlichen Glückwunsch. Jetzt ist es also gelungen, zumindest literarisch Jürgen Fuchs in die Selbstbeschädigung zu treiben. Es hat mich sehr erschreckt, daß er zu dem Mittel greifen mußte, weil hier sonst niemand kapiert, was die Verfolgung durch die Stasi einschließlich der mit ihr kollaborierenden Teile der Linken bedeutete.

Gegen Opfer der KZs hättet Ihr das wohl nicht zugelassen? Gegen die Gefolterten in Lateinamerika nicht? Oder auch? Nein, gewiß, da ist Solidarität angesagt. Und warum, frage ich, glaubt Ihr, daß die weiße, die psychische Folter, die in Osteuropa Mitte der 60er Jahre die physische ersetzte, so viel anders wirkte? Wie kommt es, daß nach fast sieben Jahren Diskussion Ihr Euch bis heute als Redaktion nicht darüber Rechenschaft ablegen mußtet, wie Ihr mit den Opfern dieser Folter umgeht?

Neulich erst hatte ich der AL- Abgeordneten Ingrid Lottenburger versucht zu erklären, was psychische Folter für mich in der CSSR bedeutete und welche Langzeitwirkung sie hat. Ergebnis: Zero. Lottenburger unterschrieb kurz darauf mit anderen AL-Abgeordneten den Protest gegen Vera Wollenberger, weil die protestiert hatte gegen die faschistoide Behandlung von Jürgen Fuchs in der taz. Was soll man da noch reden.

Den ehemaligen Nazis ist es gelungen, viele ihrer Opfer auch nach 1945 noch mundtot zu machen. Ich möchte nicht, daß die offenen vereint mit den heimlichen Stalinisten das wiederholen können. Ohne zu reden, können die Opfer nie genesen und begreifen, was mit ihnen geschehen ist. Das braucht Schutz. Den Tätern aber und ihren Sympathisanten dürft Ihr ihn nicht gewähren, wenn Ihr nicht Mittäter werden wollt. Aber wenn Ihr über das Thema KZ schreibt, dann wißt Ihr das doch, oder? Sibylle Plogstedt, Bonn

Über Stilfragen sollte man nicht streiten: ob man Trash mag oder nicht, ist Geschmacksfrage. Aber als in einer der letzten Folgen mit Günther Ullmann mein (nach Modrow) letzter verbliebener Ost- Held, ein – obwohl Theologe – grundsympathischer und schlauer Mensch, ebenfalls sein Fett wegbekam, fing ich doch an, mir Gedanken zu machen, wie diese Dissidenten so ins Fadenkreuz westlicher Satire geraten konnten. Eine gewisse Larmoyanz – womit ich nicht Ullmann meine – geht mir zwar auch auf den Keks, aber das ist nicht der Punkt: der Punkt ist, daß die Ossis ihre Revolte verbockt haben, eine Revolte, an deren Möglichkeit wir Wessis so gern geglaubt haben.

Und weil wir's vor 25 Jahren genauso verbockt haben, ist Gerlaf Dronschel jetzt so böse. Also Wiglaf, tu deine Finger aus diesem Fettnapf und steck ihn wieder in die eigene Nase. Waldo Ellwanger, Berlin