Die Zeche zahlt mal wieder die Türkei

Die US-Angriffe auf Ziele im Irak schaden massiv den türkischen Interessen. Doch die Loyalität zum Nato-Partner USA zwingt die Regierung in Ankara zum Stillhalten – noch  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

„Schweigen ist Gold.“ Dieses Motto hat der türkische Ministerpräsident Necmettin Erbakan zu seiner Richtlinie erhoben. Trotz beharrlicher Fragen von Journalisten über die Position der türkischen Regierung zu den US-Angriffen im Irak, hüllt sich der Islamist in Schweigen. Erbakan, der einst den Golfkrieg zur „zionistischen Aggression“ erklärte und erst vor wenigen Wochen zwei seiner Minister zu Saddam Hussein nach Bagdad schickte, teilt mit, erforderliche Stellungnahmen werde seine Außenministerin Tansu Çiller abgeben. Trotz des Mißmuts schweigen sich auch die Spitzen der islamistischen „Wohlfahrtspartei“ weitgehend aus. Der US- Angriff, über den das Außenministerium Ankara vorab informiert wurde, bringt die türkische Außenpolitik in Bedrängnis.

Aus Ergebenheit gegenüber dem großen Bruder USA mußte Außenministerin Çiller sich am Dienstag hinter die Militärintervention stellen. Doch die Attacke kommt der Türkei ganz ungelegen. Alle Vorbereitungen zur Öffnung der Pipeline vom irakischen Kirkuk zum türkischen Hafen Yumurtalik waren bereits getroffen. Unter Zustimmung der UN sollte erstmalig seit Ende des Golfkrieges irakisches Erdöl gegen Nahrungsmittel vermarktet werden. Öllieferungen im Wert von zwei Millarden US-Dollar waren vereinbart worden. Ein Geschäft, an dem die Türkei verdient hätte. Mit den jüngsten Entwicklungen ist die Chance vertan. UN-Generalsekretär Butros Butros Ghali hat den Vertrag auf Eis gelegt. „Die Aussetzung der Lieferung ist gegen türkische Interessen“, warnte Çiller und machte Entschädigungsansprüche geltend. „Wir müssen wieder einmal die Rechnung begleichen“, titelte die islamistische Tageszeitung Yeni Safak (Neue Morgendämmerung).

Das türkische Außenministerium dementiert Berichte, wonach der Nato-Partner USA vergeblich um eine Genehmigung gebeten haben soll, für den Angriff auf Irak den türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik benutzen zu dürfen. Die Verlängerung des Stationierungsvertrages für die alliierten Truppen, die das Flugverbot nördlich des 36. Breitengrades kontrollieren, hatte bereits für Konflikte in der islamistisch-konservativen Koalition gesorgt. Erbakan und seine islamistische „Wohlfahrtspartei“ hatten sich früher stets für eine Aufkündigung des Vertrages ausgesprochen. Nur aufgrund US-amerikanischen Druckes konnte der Stationierungsvertrag dennoch vom türkischen Parlament verlängert werden.

Trotz verbaler Proteste gegen Saddam Husseins Einmarsch in Arbil, kam den Strategen im türkischen Außenministerium die Kooperation Massud Barsanis mit Saddam Hussein und die Zurückdrängung des Einflusses der „Patriotischen Union Kurdistans“ unter Dschalal Talabani gelegen. Die türkisch-kurdische „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) steht auf Seiten Talabanis. PKK-Chef Öcalan drohte Barsani nach dem Einmarsch in der irakisch-kurdischen „Hauptstadt“ Arbil, seine Guerilleros könnten auf Seiten Talabanis in die Kämpfe eingreifen. Das politische Machtvakuum im kurdischen Nordirak nach dem Ende des Golfkrieges ist den Türken stets ein Dorn im Auge, weil Guerillaverbände von ihren Lagern im Nordirak aus die Grenze zur Türkei überqueren. Gestern marschierten dort türkische Soldaten auf. Angeblich, weil die PKK auf der anderen Seite das Gleiche tat. Beobachter befürchteten jedoch, die türkische Armee plane nun einen Einmarsch im Nordirak, um wenigstens auf diesem Wege von der dortigen Situation zu profitieren.

Nicht öffentlich, aber bestimmt, wirft die türkische Regierung den US-Amerikanern vor, ihre Irak- Politik bereite der Türkei nur Unannehmlichkeiten. Nach den Raketenangriffen und der Aussetzung der Öllieferungen ist es eine Frage der Zeit, wie lange Ministerpräsident Erbakan, der ohnehin kein Freund der Amerikaner ist, noch still und folgsam gegenüber der US-Politik bleibt.