Puzzlespiel und weiche Brötchen

■ Einer der größten Square-Dance-Clubs der Hansestadt, die „Hamburgers“, wird 20 Jahre alt

Amerikanische Sportarten sind in, auch an der Elbe. Die Footballer derBlue Devils haben mit 10 000 Besuchern den höchsten Zuschauerschnitt in der Bundesliga. Die Lokstedt Stealers sind Deutscher Vizemeister im Baseball, und der BC Johanneum will in die Basketball-Bundesliga aufsteigen. Doch eine weitere amerikanische Sportart erfreut sich großer Beliebtheit: Square Dance, um 1700 in Amerika aus verschiedenen Volkstanzarten entstanden, die die europäischen Einwanderer mitgebracht hatten.

Im Hamburger Raum existieren an die 50 Clubs mit mehreren Hundert Mitgliedern. Einer der größten, der Hamburgers Square Dance Club (HSDC), feiert morgen sein 20jähriges Bestehen, mit einer Party, zu der etwa 300 Teilnehmer erwartet werden. Alle werden tanzen – und zwar gleichzeitig. Wie so etwas ohne Blessuren funktioniert?

„Jeweils vier Paare bilden einen Square, zu deutsch Viereck“, erläutert John Bockentin, Gründungsmitglied des HSDC, eines der vielen Ableger des Hamburger Mutterclubs Stintfang Square Dancers. Die Paare drehen sich umeinander, bilden einen Kreis, laufen Rücken an Rücken aneinander vorbei oder wechseln die Partner. Damit das Chaos ausbleibt, müssen die Tänzer ein bestimmtes Repertoire an festgelegten Figuren beherrschen.

Nach deren Anzahl gibt es verschiedene Level, auf denen getanzt wird. „Mainstream“, die unterste Stufe, umfaßt 69 Figuren. Anfänger brauchen etwa ein Jahr, um diese zu erlernen. Die Level werden erweitert – bis hin zu den „Challengers“, bei denen fast 200 Schrittabfolgen absolviert werden. „Das hat mit Tanzen aber nicht mehr viel zu tun“, meint Bockentin, der es daher nicht bedauerlich findet, daß es „Challenger“ in Deutschland kaum gibt. Für den Rentner liegt der Reiz eher darin, daß die 69 Grundfiguren weltweit einheitlich praktiziert werden. So hat er auf Urlaubsreisen schon in New York, Brüssel und Neapel getanzt. Ein Anruf beim örtlichen Club reichte.

Doch das Beherrschen der Figuren alleine reicht nicht aus, damit ein geordneter Square Dance gelingt. Vonnöten ist vor allem ein fähiger „Caller“. Dieser Art Disc-Jockey legt die Platten auf und gibt mit seinem Singsang Anweisungen für die Tänzer. Das kann sich so anhören: „Slide thru – right and left thru – pass the ocean – recycle – boys walk – girls dodge.“

Wörtlich lassen sich die Kommandos nicht übersetzen. „Sie stehen für bestimmte Figuren,“ verrät Jens, der auf der Jubiläumsparty der Hamburgers den Job des Callers übernehmen wird. Der 34jährige Student hat seine über 400 Spezial-Singles aus den USA importiert. Zumeist sind es Bearbeitungen bekannter Musiktitel, von Country-Hits bis zu Frank-Sinatra-Songs, eigens für die Anforderungen im Square Dance verändert: Allesamt wurden sie auf das erforderliche Tempo von 130 Beats per minute gebracht – ungefähr ein gutes Schrittempo.

Eine Figur geht meist über ein oder zwei Takte dieser Singing-Calls, nur wenige sind länger. Der Caller muß also schnell wechseln und darf nicht den Überblick verlieren, schließlich sollen nach 15 Minuten alle Tänzer wieder dort stehen, wo sie angefangen haben. Für Jens ist das wie ein Puzzlespiel, bei dem er seine mathematische Ader ausleben kann. Vor allem aber schätzt er das angenehme Klima unter den Square Dancern, was daran liegen mag, daß es keine Wettkämpfe gibt.

Auch bei den großen Veranstaltungen geht es um den gemeinsamen Tanz, wie bei den vierteljährlich veranstalteten jamborees, die europaweit ausgerichtet werden. Als der vorige in Hamburg stattfand, mußte eigens die Alsterdorfer Sporthalle angemietet werden. Über 2 000 Tänzer folgten den Ansagen eines einzigen Callers.

Für die nordischen Square Dancer ist dies immer einer der Höhepunkte der Saison. In Süddeutschland hingegen finden Großveranstaltungen häufiger statt, ist Square Dance weiter verbreitet. Kein Wunder: Nach dem Zweiten Weltkrieg gelangte der Tanz durch stationierte GIs nach Europa. Mit den „Country and Western“-Clubs möchten die hiesigen Square Dancer hingegen nicht in einen Topf geschmissen werden. Die Aktiven begreifen sich als Tanzsportler und weisen extra daraufhin, daß Cowboyhüte nicht erwünscht sind.

Dennoch: Eine gewisse Begeisterung für den american way of life können und wollen die Square Dancer nicht leugnen. Allein der Name Hamburgers Square Dance weist darauf hin. „Das Hamburgers hat etwas mit den weichen Brötchen zu tun“, erklärt Elfride Emmerich, eine von rund 100 Club-Mitgliedern, „nicht mit unserer Herkunft.“ Die Nationalspeise der USA ziert folglich das Clubabzeichen und nicht das Wappen der Hansestadt. Aber das muß bei einem american sport wohl auch so sein. Klaus Sieg