Totalitäre, linke und andere Väter

■ Ein Tag der Literatur: Daniel Goldhagen stellte „Hitlers willige Vollstrecker“ zur Diskussion, Gretchen Dutschke korrigierte linke Mythen und Roswitha Quadflieg las

Daniel Goldhagen

In den ausverkauften Hamburger Kammerspielen stand am Mittwoch abend ein Historikerstreit auf der Bühne. Daniel Jonah Goldhagen, der mit seinem BuchHitlers willige Vollstrecker momentan den Markt öffentlicher Geschichtsdiskussionen besetzt, wollte sich der Diskussion in Deutschland stellen. Geladen war dazu eine illustre Herrenrunde: die Historiker Götz Aly und Reinhard Rürup, Jan Philip Reemtsma und Hannes Heer vom Institut für Sozialforschung sowie Robert Leicht, Chefredakteur der Zeit als Gesprächsleiter.

Nun, worum geht es? Daniel J. Goldhagens Buch versucht eine Erklärung des Holocaust, so jedenfalls der eigene Anspruch, und stößt mit seinem Ansatz durchaus in eine Lücke der etablierten Forschung zum Nationalsozialismus. Nachdem man sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit darauf verlegt hatte, den Faschismus direkt mit dem Führerwillen zu identifizieren, folgte eine Kritik dieser „intentionalistischen“ These, um auf die infrastrukturellen Aspekte des Massenmords zu verweisen: Ohne planende Bürokratie und effiziente Befehlshierarchie wären weder „Totaler Krieg“ noch Auschwitz möglich geworden.

Goldhagen schließlich fragt unterhalb dieser „institutionalistischen“ These nach ihren motivationalen Voraussetzungen. Totale Herrschaft, so behauptet er ganz im Sinne Max Webers, ist nicht ohne Einverständnis der Beherrschten möglich. Eben diese Perspektive stellt ein empfindliches Desiderat der Forschung dar, und das erklärt die zum großen Teil polemischen Reaktionen auf sein Buch.

Dabei nahm der Autor durchaus Verallgemeinerungen zurück: Selbstverständlich sind nicht alle Deutschen schuld am Massenmord. Zugleich haben sich aber weitaus mehr „ganz gewöhnliche Deutsche“ als bislang angenommen freiwillig bis begeistert an ihm beteiligt und damit eine wesentliche Voraussetzung für die Vernichtungsmaschinerie geschaffen. Auch daß seine Genealogie des Antisemitismus ein wenig differenzierter hätte ausfallen können, vor allem aber, daß es in der deutschen Geschichte immerhin auch Aufklärung und eine regelrechte „Explosion jüdischer Kultur“ (Rürup) gegeben hat, gestand Goldhagen zu. Es ändert nur nichts an dem Tatbestand mörderischer Aggression.

Der von Hannes Heer gemachte Einwand, daß der Antisemitismus in erster Linie Auffangbecken für eine dauerfrustrierte deutsche Volksseele gewesen sei und sich insofern gut für das oberste Ziel, die durchmilitarisierte, starke „Volksgemeinschaft“, in Dienst nehmen ließ, konnte Goldhagens Perspektive nur ergänzen. Zu verfolgen wäre der Hinweis von Götz Aly, daß der Antisemitismus als ideologisches Schmiermittel weder ein willfähriges Vehikel der Demagogen noch einfach eine vorgefundene, von den Machthabern nur aufzunehmende Stimmung, war, sondern ein sensibel austariertes Macht-Regulativ zwischen NS-Führungsriege und deutscher Bevölkerung.

Doch alle diese Erörterungen, so insistierte Reemtsma schließlich, können eines nicht plausibel machen: Wie kommt es von einer mörderischen Einstellung zur eigentlichen Tat? Die Differenz zwischen Einstellung und Tat, selbst unter ,günstigen' Bedingungen staatlicher Erlaubnis und Förderung, bleibt bestehen. Der von Goldhagen ins Feld geführte Antisemitismus ist wohl eine zentrale, aber nicht die alleinige Voraussetzung für den Massenmord. Hier bleibt auch er eine Antwort schuldig.

Leider entwickelte sich das „Gespräch“ ein wenig monologisch. Auch hätte man dem Moderator ein wenig mehr Mut gewünscht, Gegenwartsbezüge einzufordern, denn die Dringlichkeit der durch Goldhagens Buch aufgeworfenen Fragen hat sich nicht erledigt.

Christian Schlüter

Gretchen Dutschke

Alle in der überfüllten Buchhandlung Heymann wollten Rudi, den charismatischen Studentenführer, der sich Deutschland als Räterepublik wünschte. In den Diskussionsbeiträgen gegen Ende der Lesung von Gretchen Dutschke aus ihrem neuen Buch Wir hatten ein barbarisches, schönes Leben, in dem sie das gemeinsame Leben der beiden beschreibt, gilt das Interesse eher dem Ehemann als der Witwe.

Doch die US-amerikanische Ernährungsforscherin, Theologin und Biografin trotzt dem Mythos in liebevoll-spöttischer Distanz. Etwa, wenn sie schildert, wie sie „Rüdi“ 1964 in West-Berlin in einem Caféhaus kennenlernt. Sie sagt ihren Namen und die Leute am Tisch fangenan zu kichern. „Denn Gretchen ist Faust, und wenn nicht, dann ist sie bäuerlich, naiv und unbeholfen und vor allem Deutsch. Sie ist auf jeden Fall keine Amerikanerin.“

Gretchen Dutschke gründete 1966 einen Frauenarbeitskreis im SDS, in dem sie sich mit Bebels Die Frau und der Sozialismus herumschlug. Im SDS herrscht Unruhe – Rudi ist aber nicht bereit, die Frauenfrage grundsätzlich zu diskutieren. In anderen Punkten funktioniert die dialektische Zusammenarbeit besser: Gretchens Referat über Malcolm X und die schwarzen Revolutionäre aus Harlem wird Anlaß für beide, in New York nach „revolutionärem Potential“ zu suchen. Rudi ist begeistert, „im Rachen des Löwen subversiv zu agieren“. In späteren Jahren ist es ihr Einfluß, der Rudi Dutschke in der Ökologiebewegung mitarbeiten läßt.

Ein erinnerungsträchtiges Lächeln beim Publikum rufen die heutzutage antiquiert wirkenden Ideen zur sexuellen Befreiung hervor. Rudi und Gretchen beschließen, eine freie Beziehung zu führen, Rudi wird neu ausstaffiert und zieht los auf Eroberung. Weit aus der „kleinbürgerlichen Paarbeziehung“ kommt er nicht, und es muß wieder eine US-Amerikanerin sein, die Rudi „verführt“.

1985 kehrte sie in ihre Heimat zurück, wo sie sich mühsam durchschlug. 1990 ermöglichte ihr ein Stipendium des Hamburger Instituts für Sozialforschung, das nun vorliegende Stück linker Erinnerungsgeschichte zu schreiben.

Auf die Frage, wie sie sich fühlte, in das Deutschland des Attentäters zurückzukehren, antwortet sie ausweichend. Bedenken gab es, Schmähschriften habe sie erhalten, und in Hamburg, wo Rudi 1978 von einer Schar Polizisten verprügelt worden war, hätte sie ebensolche Überfälle beobachtet. Doch das Klima Deutschlands hätte sich verändert: „Eine Kulturrevolution ist durch die antiautoritäre Bewegung ausgelöst worden, die Begrenztheit der Gesellschaft vor 1968 kommt nicht wieder. Und der Impetus für eine neue antiautoritäre Bewegung ist da.“ Eifriges Klatschen.

Kerstin Kellermann

Roswitha Quadflieg

Wer war Christoph Lau? Der fragende Titel des Romans von Roswitha Quadflieg soll den Leser neugierig machen, ihn in das Buch hineinbeziehen, wie es sich die Autorin bei der Vorstellung ihres neuen Buches wünschte. Quadflieg erzählt von einer Annäherung an den Vater. Uwe Johnson unternahm seinen Versuch, einen Vater zu finden, mit Hilfe von Erinnerungsbruchstücken. Das kann Quadfliegs Hauptfigur Benjamin Winkler nicht, da er bislang nichts über seinen Vater Christoph Lau wußte. Erst nach dessen Tod erfährt er von ihm und beginnt, sich ein Bild zu machen.

Anhaltspunkte bieten ihm die gegensätzlichen Auskünfte seiner vier Halbgeschwister. Außerdem hinterließ ihm der Vater mehrere Briefe, die er an seine ehelichen Kinder geschrieben, aber nie abgesandt hat: „Liebste Kinder, Ihr habt mich irgendwann einmal gefragt, warum ich behaupte, ich hätte Furcht vor Euch.“ Wie der wohl berühmteste Brief der deutschen Literatur, Franz Kafkas Brief an den Vater, beginnt Christoph Laus „Brief an die Kinder“. Roswitha Quadflieg setzt Kafkas Brief in ihrer Familiengeschichte ein: Sie zitiert ihn zwischen Benjamins Treffen mit seinen Halbgeschwistern und kontrastiert so, was die einzelnen Kinder über den Vater sagen. Dessen eigene Briefe sind, wie Kafkas Brief an den Vater, ein Verzweiflungsschrei. Auch Lau klagt seine „wölfischen, verschlagenen Kinder“ an, sie hätten ihm weder Respekt noch Zuneigung entgegengebracht.

Benjamin Winklers „Zwiegespräch mit einem unbekannten toten Vater“ ist zugleich eine Selbstsuche. Allmählich werden ihm Facetten der väterlichen wie der eigenen Existenz bewußt: Empfindsam und zögerlich, einsam und desillusioniert ist auch Benjamin, und so endet die Anverwandlung tödlich.

Wer war Christoph Lau? zog das Publikum im Literaturhaus in den Bann, denn jeder weiß aus eigener Erfahrung: „Die Familie ist eine solche Gefahr.“ Bei der Lektüre des kleinen Romans erweist sich jedoch, daß dieses kunstvoll komponierte Buch trotz aller Faszination letztlich konstruiert wirkt.

Frauke Hamann