Die Deutschen kamen wieder

Nach den neuerlichen Erfahrungen in Polen mit neonazistischen Fußball-Hooligans reagiert der DFB bewährt: mit Achselzucken und Hilflosigkeit  ■ Aus Zabrze Peter Unfried

Gemütlich rattert ein Eurocity durch Polen. Eine kräftige Sonne scheint auf grüne Wiesen. Die Tür öffnet sich. Ein polnischer Zollbeamter schnarrt. Was schnarrt er? Die liebe Fünfzigerin weiß es. Er schnarrt: „Haben Sie etwas zu verzollen?“ Es ist so ein Tag, wie ihn sich der Altweibersommer nur wünschen kann.

Auf dem Gang amüsiert sich eine Reisegruppe. Es sind junge deutsche Herren, die Späßchen machen. Auch Lieder werden angestimmt. Ein Refrain hat es ihnen besonders angetan. Er geht so: „... denn heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt.“

Jürgen Klinsmann war auch Teil einer deutschen Reisegruppe in Polen. Über die andere Gruppe sagt er: „Ich glaube, die Leute haben es gar nicht verdient, daß man über sie redet. Die wollen Aufmerksamkeit. Das gönne ich ihnen gar nicht.“ Nachdem ein Freundschaftsspiel gegen Polens Nationalmannschaft von den DFB-Kickern mit 2:0 gewonnen ward, sagte der Bundestrainer Berti Vogts ähnliches. Er sagte: „Ich habe die Bitte, daß man denen nicht eine Plattform gibt, um auf sich aufmerksam zu machen.“

Damit ist nach einer Zeit der Ruhe das alte Problem wieder zurück: Wie geht man mit den Hooligans um? Natürlich hat Klinsmann recht, wenn er insistiert: „Die nutzen unseren Sport aus.“ Die DFB- Argumentation geht in etwa so: Weil sie mit Fußball nichts zu tun haben, braucht man auch nicht über sie zu reden. Die nicht ausgesprochene Schlußfolgerung: Und wenn man nicht über sie redet, sind sie frustriert und gehen irgendwann von selber weg.

Die Gruppe, die in Zabrze agitierte, war nicht groß. Etwa 300 standen im Block. Per Fahne zu erkennen gaben sich First Cream Münster, Mad Boyz Leverkusen, RWE Boy's (!), Borussen Front Dortmund sowie Reisende aus Offenbach. Der Kern wird auf 30 bis 40 Personen geschätzt. Wenn aber eine deutsche Reisegruppe Anfang September in Polen einmarschiert, um sich mit „Hooligans Polska“ zu schlagen und dabei ein Transparent entrollt mit der Aufschrift: „Schindler-Juden, wir grüßen euch“, muß man darüber reden. Und da es im Stadion passiert, betrifft es den Fußball.

Berti Vogts sah „brutale Gesten gegen das polnische Volk“. Egidius Braun sagte: „Das ist eine Katastrophe. Die Deutschen sind schon einmal nach Polen gekommen. Jetzt kommen die wieder.“ Der DFB-Präsident saß auf der Tribüne des Gornik-Stadions und zeigte hinüber zu Block 11. Die Polizei hatte das Schindler-Transparent inzwischen entfernt, doch Braun sah aus, als sehe er es noch immer vor Augen. „Das“, sagte er und man sah, daß er richtig erschüttert war, „war das Allerschlimmste.“

Daß deutsche Reisende aus der rechtsradikalen Ecke das Spiel für einen Besuch nutzen wollten, war nicht geheim geblieben. Die Bahnsteige am Berliner Hauptbahnhof, in Frankfurt (Oder) und auch in Wroclaw waren grün vor Polizisten. Die Reisenden aber hatten sich abgesprochen, unauffällig zu bleiben. Der Plan war klar: Nicht zu früh losschlagen, um die Wirkung im Stadion nicht zu gefährden. „Sonst“, hieß es, „setzen die uns in den Zug, und nichts ist passiert.“ Man beließ es zunächst dabei, in Bahnhöfen „Scheiß-Polacken“ und anderes aus dem Fenster zu brüllen.

Berti Vogts, wie gewohnt kompromißlos, macht die polnischen Gastgeber mit verantwortlich. „Wir haben die Polen gewarnt“, sagt er, „daß einige Chaoten anreisen, aber man hat nicht auf unsere Warnung gehört.“ Im Stadion wirkte die polnische Polizei sehr wohl vorbereitet. Nach den ersten Leuchtraketen-Attacken knüppelte sie Ruhe in den Block.

Ob diese Fußballreisenden wirklich Rechtsradikale oder Neo- nazis sind oder nur dumm, wie die Fußballbranche erklärt, ist eine gerngestellte Frage. Im Einzelfall ist zu klären, ob jene, die eine Gruppe in Bewegung bringen, Zyniker sind – oder andere für politische Ziele gebrauchen. Oder ob sich eines aus dem anderen ergibt. Es ist klar: Das Vergnügen wird mit dem Tabubruch größer. „Hindenburg liegt gleich bei Auschwitz“ brüllten sie durch den Zug. Allein mit Worten tun diese Vorredner und ihre willigen Vollstrecker dem Land Gewalt an.

Für den DFB kamen die Ereignisse von Zabrze sehr ungelegen. Auf der Tribüne des Gornik-Stadions saß unter anderem FIFA-Präsident Havelange. Und wenn dessen politischer Leumund mancherorten auch nicht für friedensnobelpreisverdächtig gehalten werden mag, so weiß er doch, was schlechte Publicity ist. Schlechte Publicity ist, wenn man sich zu Gesprächen über Bewerbungen für die WM 2006 trifft und plötzlich das Hooligan-Thema im Land wieder aktuell wird.

Braun dachte aber weiter. „Ich arbeite hier seit vier Tagen an einem Freundschaftsverhältnis“, sagte er, „damit die einen anderen Eindruck kriegen von Deutschland.“ Daß der DFB allerdings bisweilen gar mithilft, solche Events zu schaffen, ist spätestens bekannt, seit man vor ein paar Jahren an Führers Geburtstag in Berlin ein Forum zu schaffen trachtete. Insofern ist auch das vorgebliche Ignorieren des Politischen durch den Deutschen Fußball-Bund politisch – und gefährlich, wie sich nun Anfang September in Oberschlesien erneut gezeigt hat.

Braun sagte: „Das Schlimmste ist die Hilflosigkeit.“ Andererseits hat er auch recht. Wenn SA-Lieder erklingen und man im Eurocity einer lieben polnischen Frau ins Gesicht schaut; wie soll man ihr das erklären?