Wahlen auf Teufel komm raus

In Bosnien wächst die Kritik am Wahltermin Mitte September. Die ethnischen Säuberungen gehen weiter. Und Boykottdrohungen führender Politiker verunsichern die Bevölkerung  ■ Aus Sarajevo Erich Rathfelder

Mit den Wahlen in Bosnien- Herzegowina am 14. September ist eigentlich niemand zufrieden. Selbst bei den internationalen Organisationen geht das Wort von der Wahlfarce um. Ob es sich um den Sprecher der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR Kris Janowski oder Mitarbeiter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE, handelt: Sie alle halten den Wahltermin für zu früh. Nur weil die US- Regierung den Zeitplan für das Dayton-Abkommen durchsetzen wolle, würden jetzt die Wahlen durchgezogen, egal, mit welchen Folgen, wird argumentiert.

Verunsichernd auf die Wähler wirken zudem die Aussagen bosnischer Politiker. Vor allem der frühere Premierminister Haris Silajdžić hat mit seinen Boykottdrohungen die Diskussion über den Sinn der Wahlen angeheizt. Aber auch der bosnisch-herzegowinische Präsident Alija Izetbegović ließ mehrfach anklingen, er und seine Partei würden die Wahlen boykottieren. Und noch immer ist nicht klar, ob diese Drohungen ernstzunehmen sind. Nach den Zwischenfällen in Brčko und in Banja Luka vom Wochenende werfen die Muslime der serbischen Seite vor, Spannungen zu schüren und das Dayton- Abkommen zu boykottieren. An der ehemaligen Demarkationslinie in Brčko hatten nämlich serbische Extremisten sechs von Muslimen wieder aufgebaute Häuser gesprengt. Und in Banja Luka mußten am letzten Dienstag die letzten Muslime der Stadt von UNHCR in Sicherheit gebracht werden. Daß im serbisch kontrollierten Teil Bosniens die ethnischen Säuberungen offen weitergehen, wollen die Muslime nicht mehr hinnehmen. Demgegenüber behauptet der serbische Polizeichef von Zvornik, bewaffnete Muslime hätten bei ihrer Rückkehr in Dörfer bei Mahala Zwischenfälle provoziert. Er wolle jetzt 3.000 Polizisten in die Region schicken.

In ihren Äußerungen gehen die serbischen Politiker eindeutig davon aus, daß mit den Wahlen die serbisch kontrollierte Zone, die sogenannte Republika Srpska, zu einem unabhängigen Staat werden würde. In den Wahlspots im serbisch-bosnischen Fernsehen wird von fast allen serbischen Parteien in diese Richtung argumentiert. Die bosnisch-muslimische Seite ist verbittert, daß die Kritik am Dayton-Abkommen von den internationalen Institutionen hingenommen wird. Um die Wahlen durchzusetzen, werde sogar erlaubt, daß im serbisch-bosnischen Fernsehen die serbische Nationalhymne zu den Bildern der gesuchten Kriegsverbrecher Ratko Mladić und Radovan Karadžić gespielt wird, heißt es in Sarajevo.

Dabei ist Mitte Juli klar vereinbart gewesen, daß Karadžić nicht mehr öffentlich auftreten darf. Die Drohung, die serbische Nationalpartei SDS in diesem Fall von den Wahlen auszuschließen, wird jedoch nicht umgesetzt. OSZE- Sprecher Thomas M. Leary leugnete am Donnerstag sogar, daß eine solche Drohung für die Organisation verbindlich sei.

So reduziert sich der Wahlkampf zunehmend darauf, die internen Kräfteverhältnisse zu bestimmen. Nach der Verschiebung der Kommunalwahlen werden noch die Parlamente der Kantone, der Republika Srpska, die der muslimisch-kroatischen Förderation und deren Präsidenten sowie das Gesamtparlament und der Präsident des Gesamtstaates bestimmt.

In der serbischen Republik versuchen offen faschistisch-totalitäre Parteien wie die Radikale Partei des Tschetnik-Führers Vojislav Seselj und die Partei der Serbischen Einheit von Zeljko Ražnatović, genannt Arkan die regierende Karadžić-Partei noch rechts zu überholen. Einem Bericht des Guardian zufolge soll die Arkan-Partei Wahlkampfhilfen in Höhe von 330.000 Mark unter anderem aus Deutschland erhalten haben, die die OSZE bereitgestellt hat. Kleinere Parteien, wie die Sozialliberalen, die dem demokratischen Spektrum zuzurechnen sind, versuchen dagegen für den Rechtsstaat zu werben. Auf der muslimisch-bosnischen Seite muß sich die regierende Nationalpartei SDA anstrengen, um nicht Stimmen an die Opposition zu verlieren. Vor allem die Liberalen berichten über Zulauf, aber auch die Gemeinsame Liste aus fünf nicht national ausgerichteten Parteien verfügen über Hochburgen, wie Tuzla und Sarajevo. In der kroatisch kontrollierten Zone scheint die kroatische Nationalpartei HDZ unbestrittener Wahlsieger.

Nach der Absage der Kommunalwahlen ist immerhin einiger Sprengstoff aus den Wahlen genommen. Dennoch rechnen die internationalen Polizeitruppen mit Zwischenfällen. Viele Muslime wollen nicht darauf verzichten, in ihren Heimatorten zur Wahl zu gehen. Vor allem in Srebrenica, Zvornik, Brčko, Prijedor und Doboi sind damit angesichts der Geschichte dieses Krieges Auseinandersetzungen programmiert.