Die Ökopartei in der Ökokrise

Die Grünen sorgen zwar in der Wirtschafts- und Sozialpolitik für Schlagzeilen, doch Umweltschutz ist auch bei ihnen out. Niemand traut sich an das Goldene Kalb „Wirtschaftswachstum“  ■ Aus Bonn Dieter Rulff

Da zeigte Joschka Fischer mal Flagge – und es war prompt die falsche. Seine blauen Bände von Karl Marx wollte der Grünen-Fraktionsvorsitzende wieder entstauben, „wenn das so weitergeht“ mit dem Sozialabbau. Umgehend empfahl Jürgen Rochlitz seinem Fraktionschef als Lektüre lieber die grünen Bände des Sachverständigenrates für Umweltfragen. Dann, so hoffte der Grünen-Abgeordnete, werden vielleicht auch auf den Fraktionssitzungen „wieder ökologische Themen statt wirtschaftsdienerischer Buhlereien um die Mitte auf der Tagesordnung“ stehen.

Der Disput der beiden Fraktionäre, vornehm per Interview und Leserbrief im Spiegel ausgetragen, fand in den letzten beiden Tagen seine Fortsetzung bei einer Klausur der grünen Bundestagsabgeordneten. Diesmal stand die Ökologie auf der Tagesordnung. Denn die steckt in einer Krise. Während Grüne als Sparpolitiker Furore machen, publikumswirksam über die richtige Art von Militäreinsätzen streiten und den westeuropäischen Sozialstaat gegen die Internationale der Wirtschaftsliberalen verteidigen, ist es um das Kernstück ihrer Politik still geworden. „Umweltschutz ist out“, klagt die Bundestagsabgeordnete Michaele Hustedt.

In einem internen Papier zieht die Partei eine ernüchternde Bilanz: „Die Ökosteuer ist auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben, die Debatte um die Förderung von erneuerbaren Energiequellen hat so gut wie keine öffentliche Aufmerksamkeit erregt, auch nicht das Naturschutzgesetz. Selbst der Abbau von Umweltstandards durch die Deregulierungspolitik der Bundesregierung hat nicht zu großen Protesten geführt.“

Das kratzt an der Identität

Hustedts Fazit: „Die Umweltpolitik rutscht hinten runter, und das wird bis zum Wahlkampf so weitergehen.“ Die Ökoexpertin tröstet wenig, daß dieses Mauerblümchen-Dasein ein parteiübergreifendes Phänomen ist. Ob Angela Merkel in der Bundesregierung, Michael Müller bei der SPD oder Hustedt und Rochlitz bei den Grünen – ihr Anliegen genießt keine Priorität. Doch das kratzt bei der Öko-Partei an der Identität. Die Grünen, trotzt Hustedt dem Trend, „müssen das Jahrhundertthema besetzen“. Dem Versuch, das Profil der Partei anders zu definieren, erteilt auch der Vorstandssprecher Jürgen Trittin eine klare Absage: „Dann würden die Grünen sich aufgeben.“

Sich aufgeben, das will natürlich keiner, aber in gewichtigen Teilen der Fraktion wird der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik mittlerweile ein höherer Stellenwert eingeräumt. Hier, meint Fischer, müssen die Grünen Lösungen anbieten, wenn sie Kohl ablösen wollen. Dieser Aufgabe wollen sich auch die Ökologen nicht entziehen. Deshalb stellt sich Hustedt ebenfalls die Frage, wie Arbeitsplätze zu schaffen sind und riskiert dabei, von der Basis im Mainstream verortet zu werden. Denn Hustedt bevorzugt den instrumentellen Weg. Um die Lohnnebenkosten zu senken, so ihre Diagnose, müssen die indirekten Steuern steigen. Gibt die Bundesregierung dabei der Erhöhung der Mehrwertsteuer den Vorzug, favorisieren die Grünen die ökologische Steuerreform. Fraglich nur, ob sie damit in die erhoffte Offensive kommen. Zwar hat sich der DGB mittlerweile ihnen angeschlossen, doch die SPD ist nach wie vor unentschieden.

Die Grünen können bei der Einführung der Ökosteuer auf Beschäftigungseffekte verweisen, doch das wird bei ihrem wesentlichen Anliegen, dem nachhaltigen Wirtschaften, schon schwieriger. Eine Senkung des Umweltverbrauchs, so die Bilanz der Grünen, sei auch bei Ausnutzung aller Effizienzreserven nicht in Sicht.

Wachstum bremsen

In vielen Bereichen sei es nicht einmal gelungen, ihn auf hohem Niveau zu stabilisieren. Halten die Grünen am Ziel einer nachhaltigen Entwicklung fest – so ihr internes Resümee – so bedeute dies, „daß sich die Gesellschaft per saldo auf ein sinkendes Arbeitsstunden-Volumen einstellen muß“. Die Herausforderung der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit werde langfristig nochmal gesteigert.

Bei der augenblicklichen Wirtschaftslage keine sonderlich attraktive Botschaft. Da hilft es den Grünen wenig, daß Organisationen wie Greenpeace am gleichen Dilemma laborieren. Deren Aufsichtsratssprecher Wolfgang Sachs kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, daß „die Gesamtdynamik des Wachstums gebremst werden“ müsse. Nur wenig deute allerdings darauf hin, daß sich seine Organisation schon an diese Probleme gewagt habe. Die Fraktions-Ökologen jedoch wollen zu diesem Thema nun trotzdem die Debatte eröffnen. Es müsse eine andere gesellschaftliche Vision erarbeitet werden, in deren Mittelpunkt nicht mehr das Wachstum, sondern die Verteilung vorhandener Ressourcen steht. Ein mögliches Ergebnis dieser Diskussion zeichnet sich allerdings jetzt schon ab: „Für Realpolitik“, so das interne Fazit „taugt die Zielsetzung nachhaltiges Wirtschaften nicht, aber die Realpolitik taugt anscheinend auch nicht, um das Ziel nachhaltiges Wirtschaften zu thematisieren.“