„Six Sex Weeks“ im Schmidt

Michel Foucault, der französische Philosoph und Homosexueller, würde sich bei der Vorstellung des neuen Schmidt-Programms im Grab umdrehen. Denn er vertrat die Theorie, daß das ständige Gerede über Sexualität alle anderen Diskurse (über Arbeit, Armut, Kommunikation...) innerhalb der Gesellschaft überlagere – und dies nicht ohne Grund so passiere. Auf die Sexualität würden alle Wünsche, Sehnsüchte, Begierden gelenkt. Sämtliche anderen Lebensbereiche blieben auf diese Weise von der Aufmerksamkeit ausgespart. Würden die Menschen ihre Wünsche überall und immer, und nicht nur im Bett, einfordern und ausleben, würde das die derzeitige Gesellschaftsform zum Einsturz bringen.

Das Schmidt vertritt da eher die These, daß der Diskurs über Sexualität noch weiter verbreitet gehört: Sechs Wochen lang sollen unter dem Motto Six Sex Weeks zahlreiche Showstars auftreten. Denn welches Thema interessiere die Menschen mehr? „Sex ist Sex, und niemand kann genug davon kriegen“, posaunt vorfreudig das Programmheft.

Vor ein paar Wochen starteten Corny Littmann und Kollegen die Diskussion zum Thema bereits im Internet: Was ist ein virtueller Orgasmus? Was die Grenze zwischen Belustigung und Belästigung? Die Diskussionsbeiträge werden später in Buchform veröffentlicht.

Das Programm aber legt die Frage nahe: Fun-Zwang made in USA? Es mutet schon ein bißchen stressig an, wenn Annie Sprinkle in einem Workshop Frauen neue Techniken für einen „erfolgreicheren“ Orgasmus lehren will. Trägt die ehemalige Prostituierte und stolze Pornofilmdarstellerin damit zur Befreiung weiblicher Lust bei oder führt sie die Reduzierung der Frauen auf die Rolle des rein sexuellen Wesens, als Sexualität schlechthin fort? Der Verdacht bleibt: Effizienz im Bett ist gefragt. Wir leben in der Leistungsgesellschaft.

Spaß und Spiel mit Geschlechterrollen und weiblichen bzw. männlichen Identitäten soll es aber auch geben: Bridge Markland lädt zum bunten „Herrenabend“, bei dem sie die berühmtesten Drag Kings präsentiert.

Vaginal Davis, eine schwarze „radical queen“ holt zum Rundumschlag gegen Mittelklasse, Rassismus und Muttertum aus. Jennifer Blowdryer setzt sich sarkastisch mit dem Thema Prostitution auseinander. Die Autorin eines Slang-Wörterbuches und Ex-Punkstar wird zusammen mit Hamburger Sexarbeiterinnen ein „Smutfest“, eine Mischung aus Slam Poetry und Peepshow, auf die Schmidt-Bühne holen. „Lieder, die das Licht scheuen“ wird schließlich Thomas Kylau schmettern.

Als „nicht unanstrengend“ bezeichnen die Veranstalter selbst die Stücke von Ron Athey & Company. „Leute mit schwachen Nerven und schlechtem Magen sollen da nicht reingehen“. Der ehemalige Meßdiener arbeitet mit realen Verletzungen. Grauslich. Leidenschaft die Leiden schafft. Hier zeigt sich der US-amerikanische Einfluß, Heimat des neuen christlichen Fundamentalismus und seiner Sühnerituale, sehr deutlich.

Diane Torr, New Yorks momentaner Drag-King, wird sich in einen Mann verwandeln – „ihre kleinen Gesten der Selbstherrlichkeit, der galanten Herablassung und des leisen Leidens unter emanzipierten Frauen(!) machen sie männlicher als jeder Schnurrbart es könnte“ (Programm).

Kerstin Kellermann

24. September bis 3. November