Wunderkind oder Textzerstörer? Eine Werkschau der typographischen Arbeiten von David Carson

Der Brite Neville Brody, selbst Grafik-Star und in den achtziger Jahren stilbildend, prägte für die Arbeit David Carsons das Schlagwort „The End of Print“. Das ist nicht unkomisch, denn die Ausstellung der Arbeiten Carsons, die seit Donnerstag im Museum für Kunst und Gewerbe zu sehen ist, wurde als work-in-progress konzipiert. Immer wieder kommen neue Arbeiten hinzu, die Grenze der Typographie wird immer weiter hinausgeschoben. Von einem Ende kann nicht die Rede sein.

Dem 40jährigen amerikanischen Typographen eilt der Ruf voraus, nicht nur der „berühmteste und wichtigste Designer“ der neunziger Jahre zu sein, sondern auch ein radikaler Zerstörer. Tatsächlich stellt die typographische Arbeit Carsons einen Angriff auf die gewohnte Schriftkultur dar, die auf der komfortablen Vermittlung von Information durch das geschriebene Wort basiert. In diesem Kontext – aber nur in diesem – geht von Carsons Arbeit ein Hauch des Spektakulären aus. Sonst wäre es nicht mehr als Hightech-Dada.

Carson arbeitet strikt nach graphischen Prinzipien, darin liegt seine Stärke. Das Aussehen eines Textes hat für ihn (mindestens) die gleiche Bedeutung wie sein Inhalt. Die Doppelseite einer Zeitschrift ist immer als Bild gedacht, und keine zwei Doppelseiten sehen gleich aus. Text ist dabei immer Element zur bildnerischen Gestaltung.

Die für Carson charakteristische Vermischung von Bild und Text und die Verlagerung der Bedeutung von Schriftzeichen hin zum Bildzeichen ist das Schockelement, das zum mittlerweile abgedroschenen Vorwurf führt, von Carson gestaltete Texte seien unleserlich. Jedoch, man gewöhnt sich daran. Und Carson ist der Auffassung, daß seine Art Text zu gestalten erst den Anreiz schafft, überhaupt zu lesen.

Dazu schichtet er Bild und Text, bis sie eine optische Einheit sind. Und das nach allen Regeln der Kunst: bewährte Groß-Klein- und Hell-Dunkel-Kontraste, leere Flächen gegenüber besetzten. Indem er einzelne Schriftzeichen formatfüllend vergrößert, sie überlagert und verzerrt, führt er ihre formalästhetische Qualität vor. „Each typface has its meaning“, sagt Carson, wie jedes Wort auch. Sein Anspruch ist es, eine ausdrücklich subjektive, emotionale Interpretation der Textinhalte zu liefern.

Die Werkschau reicht von den frühen Tagen der Zeitschrift Beach Culture bis hin zu aktuellen, zum Teil noch unveröffentlichten Arbeiten für Werbekunden. Zentraler Bestandteil der Ausstellung ist eine Auswahl von Titelblättern und Doppelseiten der Musikzeitschrift Ray Gun, mit der David Carson den weltweiten Ruf eines „Wunderkindes“ erlangte. Einen möglichen Zugang zur Ausstellung bietet ein Film von und über David Carson mit Texten von William S. Burroughs. Burroughs spricht über die Entwicklung der menschlichen Zivilisation und die Bedeutung der Sprache: „The first written words were pictures.“ Die Bebilderung beginnt mit ägyptischen Hieroglyphen und endet mit Ausschnitten aus Ray Gun-Heften.

Im Gegensatz zu Neville Brody, der stets eine kritische Haltung zu Grafik-Design und den damit verbundenen Kapitalinteressen einnahm, freut sich Carson wie ein Kind, daß er inzwischen Anrufe von Großkonzernen erhält, die von ihm Anzeigen gestaltet haben möchten. Carson bietet ihnen den Look der Zeit und lächelt nur gewinnend über den problemlosen Wechsel der Bedeutungen.

Bertram Richter

Bis 27. November, Museum für Kunst und Gewerbe