Wand und Boden
: Vielleicht ist ja die Ostsee schuld

■ Kunst in Berlin jetzt: Ars Baltica, Zweimal 5 x 5, Hardy Kuttner

Die Geröllhalden zeigen die finnische Bergwelt im Sommer, „After Ski“, wie Kapas Fotoserie heißt. Das aufwendige Stahlgerüst eines Lifts könnte auch die Transportanlage einer alten Silbermine sein, von der man keine Aktien mehr halten möchte. Und dieses Gefühl gilt als Pars pro toto für die ganze 1. Ars-Baltica- Triennale der Fotokunst im Haus am Waldsee und im studio bildende kunst. Da wird viel altes Silber in Form vererbter oder gefundener sepiabrauner Fotografien in neuen Fotoarbeiten zitiert und montiert. Doch darauf setzen, daß diese „Wiederkehr des Vergangenen“ mehr als kunstgewerbliche Bedeutung hat, möchte ich angesichts des Antiquitäten- Finishs eines Großteils der Bilder aus Schweden, Rußland, Polen, Norwegen, Litauen, Lettland, Estland, Finnland, Deutschland und Dänemark nicht. Durch Stockflecken, Schlieren und Kratzer auf den Fotos will wohl Kapa, der Künstler, seine Position gegenüber Capa, dem Reporter, verdeutlichen.

Peeter Maria Laurits aus Estland schreinert quadratische Holzkästen. In ihnen sind mit Hilfe bunter Lakritzbonbons Transparentfolien alter Abbildungen, die von der Liebe zur Geometrie handeln, über Farbfotos kopulierender Puppen geblendet. Das sieht so hübsch und zierlich aus, daß man zu weiterem Nachdenken gar nicht kommt, während man bei Matthias Leupold mit dem Nachdenken nicht weiterkommt: Seine Serien „Die Schönheit der Frauen“ und „Leupolds Gartenlaube“ arbeiten sich am zweifelhaften Geschmack des wilhelminischen Bürgertums ab und stellen dessen Bildmotive nach – nur, was weiß man dann, was man nicht schon wüßte?

Im Ausstellungstitel zieht die Wiederkehr des Vergangenen die Frage nach dem Ende der Utopien nach sich, weil es auffällt, daß vor allem die lange Zeit zukunfts- und optimismusgeplagten osteuropäischen Künstler auf die Archive bürgerlicher Selbstgewißheit zurückgreifen. Das ist nicht unverständlich, ergibt aber nicht zwangsläufig weniger Krampf, Kitsch und politische Korrektheit, als die Votivtafeln des untergegangenen Sozialismus ihn boten. Und ausgerechnet aus dieser Ära stammen dann die interessantesten Aufnahmen. Wahrscheinlich war es Antanas Sutkus in seinem Zyklus „Menschen aus Litauen“ aus den 70er Jahren gar nicht bewußt: Aber in seinen Bild der drei Jungen mit den „Frühlingsblumen“ kehrt unmerklich und unsentimental Vergangenes wieder – August Sanders Jungbauern auf dem Weg zum Tanz.

Bis 29. 9., Di–So 10–18 Uhr, Argentinische Allee 30 und bis 20. 9., Mo–Fr 13–18, So 14–18 Uhr, Baumschulenstraße 78

Vielleicht ist ja die Ostsee oder der hohe Norden schuld. Im europäischen Süden, im Mittelmeerraum, geht es deutlich unkomplizierter und zeitgemäßer zu. Phantasie wäre hier die einzige Utopie. Sollte es den je fünf Künstlern aus Madrid und Berlin im Kunstamt Kreuzberg und der Galerie ACUD darum gehen? Sie müßte man auch nicht verabschieden. Schon gar nicht in der schwungvollen und raumgreifenden Version von Elena Blasco. Hinreißende Zeichnungen von Frauengesichtern, die aus Kaffeetassen wachsen und verlassene Bürostuhl-Inseln am Sicherheitsgurt ergänzen sich bei ihr um sauber arrangierte Stoffvorhänge und eine Perücken-Persiflage auf Meret Oppenheims Pelztasse. Ansonsten fällt die frische, graphische Tendenz der Arbeiten auf.

So tackert Florentino Diaz schwarze Bänder zum Achteck zusammen und setzt ein Bett aus weißen Bändern hinein. Streng geometrisch tackert er auch Stühle und Tische auf einen edlen, braunen Untergrund, was ausgezeichnet mit Günter Unterburgers auf den Boden gehäuften volumenlosen Latexmasken harmoniert. Eine rechte Hand stützt das Kinn und eine linke ist auf die Stirn gepreßt, manchmal verdecken aber die Latexhände auch das ganze Latexgesicht.

Selbst in Katharina Hohmanns räumlicher Absperrung, die Plastikwäscheleinen mit grauen Metallständern zu einen Oval schließt, ist das flache, zweidimensionale Moment in den bunten Linien gegenwärtig. Und Gabriele Konsors zwölf Aquarelle von den „schönsten Faltenwürfen Roms“ delektieren sich am Paradox vom Raum in der Fläche. Mehr Gewebe als Muskel, mehr Textur als Körper: Natividad Bermejos „Herz aus Stroh“. Stefanie Bürkles bemerkenswerte Hausfassaden, in Öl auf Keilrahmen skizziert, die die Fluchtlinien mitvollziehen und entsprechend schräg gebaut sind, gehen ein weiteres Mal dem Rückzug des Raums in die graphische Farbfläche nach.

Bis 13. 10., Di–So 12–18, Mi–20 Uhr, Mariannenplatz 2; Mi–Fr 15–18, Sa 12–15 Uhr, Veteranenstraße 21

Bei Hardy Kuttner in der Galerie im Parkhaus sind „Alle möglichen Vergangenheiten“ gleich „Alle möglichen Zukünfte“, nämlich ein quadratischer roher Sperrholzkasten, der auf der einen Seite tatsächlich nicht anders aussieht als auf der anderen. Drei parallel gestellte sargförmige Sperrholzkisten heißen „Zug A nach B“. Man merkt, seinen Arbeiten ist ein unaufwendiges Moment eigen. Das gilt auch für die Schrift an der Wand „Was tust du für die Front, für den Sieg. Was hast du heute für Deutschland getan.“ Daß kein Fragezeichen diese Sätze abschließt, erklärt sich durch den Barhocker und den Geldspielautomaten an der gegenüberliegenden Wand. Auch wenn dieses Ambiente in politischer Hinsicht dann doch zu wenig Aufwand betreibt, mir scheint die Installation stimmig. Und wenn man nur erkennt, daß man über die eigenen Vorurteile nicht wirklich hinaus kommt.

Bis 4. 10., Mi–Sa 15–19 Uhr, Puschkinallee 5 Brigitte Werneburg