Zwischen Bauhaus und Speer

Tag des offenen Denkmals: Nach sechzig Jahren wird am westlichen Stadtrand bei Dallgow das olympische Dorf von 1936 für Besucher geöffnet  ■ Von Rolf Lautenschläger

In allen Geisterstädten spukt es. Im ehemaligen olympischen Dorf von 1936, das die Rote Armee bis zu ihrem Abzug 1992 besetzte, treiben sich natürlich auch Gespenster herum. In der Geisterstadt nahe Dallgow, rund zehn Kilometer westlich von der Stadtgrenze an der B 5 gelegen, klappern die Läden, schlagen Türen und fliegt der Staub auf, als wollten die ehemaligen Bewohner noch einmal auf sich aufmerksam machen.

Mit dem Spuk geht es morgen zu Ende. Die Terra incognita olympisches Dorf, die für DDR- und BRD-Bürger gleichermaßen tabu war, wird wieder ins Licht der Öffentlichkeit geholt. Sechzig Jahre nach den Nazispielen 1936 kann das 125 Hektar große Gelände am „Tag des offenen Denkmals“ besichtigt werden.

Die Öffnung des Areals bedeutet zugleich den Aufbruch in eine zivile Nutzung für das denkmalgeschützte olympische Dorf, das zwischen 1934 und 1936 entstand. Kurz nach den Spielen übernahm die Wehrmacht dort das Regiment, die Franco-Helfer der „Legion Condor“ durften sich im schattigen Wald des olympischen Dorfes vom Schlachten ausruhen. 1945 zog die Rote Armee ein und nutzte es als Lazarett, Kaserne und Trainingsstätte für Olympioniken. Jetzt versucht die Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) die Bauten zu sanieren und den Wohnungsbau anzuschieben – mit mäßigem Erfolg allerdings.

Für Albert-Speer-Fans könnte der Denkmalrundgang auf dem „Geschichtspfad“ mit zwölf Gebäuden zur Enttäuschung werden. „Denn das Zentrum der kreisförmigen Anlage bildet das ovale Speisehaus der Nationen, das der Architekt Werner March im modernen Bauhausstil und die Gesamtanlage in der Tradition der Gartenstädte der zwanziger Jahre gestaltete“, erklärt Annette Tipp, Planerin bei der Landesentwicklungsgesellschaft (LEG).

Das dreigeschossige riesige Speisehaus für 4.000 hungrige Sportler – in dem für die russischen Judokas und Ringer zwar Wände herausgerissen wurden, sonst aber wenig etwas verändert ist – erinnert mit seinem Flachdach, den Glasfassaden und den schnittigen Balkonen an reformzeitliche Freizeitarchitektur. Auch die halbverfallene Schwimmhalle und die Turnhalle plante March in einer spätmodernen Architektursprache bar jeden Nazikitsches: Sichtbare Stahlkonstruktionen, Glasfassaden oder heb- und senkbare Wandelemente, damit die Sportler aus der Halle ins Freie treten konnten, waren dem Erbauer des düsteren Olympiastadions hier wichtiger als Monumentalität.

Ganz konnte March von der Nazibauweise nicht lassen: Der Blut-und-Boden-Stil tritt in den 150 Athletenunterkünften und bei dem Kulturgebäude zutage, die als Kasernenverschnitt und im bäuerlichen „Heimatstil“ realisiert wurden. March legte die Pavillons, von denen heute nur noch wenige erhalten sind, im Halbkreis um das Speisehaus, so daß Lageratmosphäre und kein Sports- und Spielgeist aufkam. Das war gewollt. Dem olympischen Dorf stand damals ein Kommandant vor und Orte wie die „Bastion“ – eine Freiluftbar – waren Chiffren genug, um zu erkennen, welche Rolle der Sport bei den Nazis spielte: die der Wehrertüchtigung.

„Auch das Kulturhaus hätte Albert Speer gefallen“, bemerkt Tipp. Denn der zweigeschossige Palast mit jetzt leergeräumtem Theater- und Filmsaal ist wuchtig und hat nichts mehr von der Bauhaus-Leichtigkeit anderer Häuser.

Am Denkmalstag will die LEG auch erklären, wie die Zukunft für das Bau- und Gartendenkmal olympisches Dorf aussieht. Es gibt ein Programm, die Sportbauten zu sanieren, sagt Tipp. „Dies geht aber nur, wenn ein Kompromiß zwischen der Denkmalpflege und den Verwertungsinteressen gefunden wird.“ Den Kompromiß sieht LEG-Chef Germanus Pause in der Wiederherstellung des Speisehauses und der Sporthallen und in einer künftigen „sportnahen Nutzung etwa als Lehr- und Tagungsstätte oder Leistungszentrum“.

Schwieriger sei die Zukunft für die Pavillons. Die müßten umgebaut oder in anderer Form wieder neu errichtet werden, meint Pause. Der LEG-Geschäftsführer schätzt die Kosten der Sanierung auf rund 25 bis 30 Millionen Mark, die von Investoren aufgebraucht werden sollten. „Da muß man sich anstrengen.“ Sportgeist ist also weiter angesagt im olympischen Dorf.

„Tag des offenen Denkmals“ am 8. September, Besichtigung von 11 bis 17 Uhr. Eintritt ist frei, Führungen werden angeboten. Der Eingang ist an der B5 ausgeschildert.