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Das Eiweißwunder

■ Ein aus der Süßlupine gewonnenes Nahrungsmittel könnte den Naturkostmarkt auf den Kopf stellen. Die Entdeckung von "Lopino" ist eine Alternative zu Tofu

Manchmal muß man, um Erfolg zu haben, gar nichts unternehmen. So erging es Paul Bremer mit seinen Versuchen, Lupinenmilch zum Gerinnen und damit in schnittfeste Form zu bringen. Monatelang experimentierte er, bis er eine der unzähligen Proben versehentlich über Nacht stehenließ. Am nächsten Morgen fand er, wonach er so lange gesucht hatte: Ohne Erwärmung und ohne Gerinnungsmittel ließ sich der Grundstoff für ein neuartiges Lebensmittel gewinnen. Anekdoten dieser Art stehen für gewöhnlich am Anfang außergewöhnlicher Erfolgsgeschichten. Lopino könnte durchaus eine solche Geschichte schreiben. Seitdem Bremer vor knapp sechs Jahren sein Probenschälchen vergaß, ging es für ihn und seine kleine Firma Geestland beständig voran. Mit Hilfe des gleichfalls in der Weserstadt ansässigen Instituts für Lebensmitteltechnologie und Bioverfahrenstechnik wurde das Produktionsverfahren zur Serienreife gebracht, das Land Bremen beteiligte sich an den Kosten. Die reine Freude packt den Lopino-Erfinder noch heute, wenn er sich an die Ergebnisse der ersten Analysen erinnert: „Das war wie der Elfmeter ohne Torwart.“

Die Lupine enthält nicht nur sehr viel, sondern auch sehr hochwertiges Eiweiß. Alle wichtigen essentiellen Aminosäuren sind in einem ausgewogenen Verhältnis vertreten, dazu ein hoher Gehalt an Lecithin und ein breites Spektrum von Mineralstoffen. Cholesterin kommt dagegen überhaupt nicht vor, dafür aber aktives Vitamin B 12 – besonders wichtig für Vegetarier, denn dieses zur Blutbildung unerläßliche Vitamin war in pflanzlichen Lebensmitteln bislang eine Rarität. Von einem „Eiweiß-Wunder“ gar sprachen Fachleute und kürten Lopino zum „Produkt des Jahres '95“. Inzwischen führen viele Bioläden unbehandeltes „Lopino Natur“, Bratlinge bis hin zum Brotaufstrich. Lopino-Milch und Joghurt sind in Vorbereitung.

Daß ausgerechnet die Firma Geestland eine Alternative zum althergebrachten Tofu fand, ist kein Zufall. Der Betrieb mit seinen mittlerweile 15 Angestellten entstand nämlich vor zehn Jahren im Hinterzimmer eines Bioladens als eine von Deutschlands ersten Tofureien. Mit einer Tagesproduktion von einer Tonne zählt Geestland heute zu den größten der rund drei Dutzend deutschen Betriebe dieser Branche. Doch schon seit langem ist Paul Bremer mit dem Tofu-Produkt nicht mehr recht zufrieden. Zum einen litt sein Erfindungsgeist darunter, „immer nur einen Brotaufstrich mehr“ zu entwickeln. Vor allem aber plagten ihn ökologische Bedenken. Bevor nämlich der Tofugrundstoff Soja den Eiweißbedarf der mitteleuropäischen Naturkostfreunde stillen kann, muß er auf langen Transportwegen hergeschafft werden. Außerdem ist die Sojabohne eine anspruchsvolle Pflanze, die dem Boden große Mengen von Nährstoffen entzieht.

Ganz anders die Lupine: Das robuste Gewächs gedeiht praktisch überall auf der Welt. Als Nahrungsmittel findet sie allerdings bislang nur selten Verwendung, und gerade die hierzulande vorherrschenden Arten sind wegen ihres hohen Gehalts an Bitterstoffen für Menschen ungenießbar. Doch es gibt auch die sogenannte Süßlupine, die durch beständige Sortenauswahl vor allem in den ehemaligen RGW- Ländern kultiviert und als Futtermittel verwendet wurde – nicht etwa der Ökologie wegen, sondern um die Abhängigkeit vom US-amerikanisch dominierten Sojamarkt zu mildern.

Bei Geestland glaubt man fest daran, daß diese Lupinenart künftig auch für die menschliche Ernährung eine große Rolle spielen wird. Vorerst ist die Ausweitung der eigenen Produktionskapazität auf zehn Tonnen pro Tag geplant. Den großen Durchbruch aber, das weiß natürlich auch Paul Bremer, kann der Kleinbetrieb allein nicht schaffen: „Um ein Lebensmittel in den Markt zu bringen, braucht man sehr viel Geld.“ Die entscheidende Frage ist somit die nach der Lizenzvergabe für das europaweit geschützte Lopinopatent – an ein Netz von Naturkostfirmen oder aber an einen der großen Lebensmittelkonzerne, von denen die meisten auf dem Bionahrungsmarkt inzwischen kräftig mitmischen. Solche Probleme führten bei Bremer zeitweilig schon zu Effekten, die sein Lopino normalerweise überhaupt nicht haben sollte: „Ich war schon ganz krank davon.“ Jochen Siemer

Kontakt: P. Bremer, An der Packhalle V, Nr. 1, 27572 Bremerhaven

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