Suche nach dem Sieg

■ Miguel Indurains Start bei der heute beginnenden Vuelta bedeutet für Veranstalter und Sponsor eine hohe Profitrate

Pamplona (taz) – Fährt er, oder fährt er nicht? Die Frage war einer der beliebtesten Sommerlochfüller auf den Sportseiten der spanischen Presse. Er fährt, und am Ende wird sich niemand mehr über Miguel Induráins elften Platz bei der Tour de France gefreut haben als die Organisatoren der Spanien-Rundfahrt, die heute in Valencia beginnt und nach 3.676 Kilometern am 29. September in Madrid endet.

Seit Jahren jagen sie das baskische Radsportidol wie der Teufel die arme Seele. Der Start des fünffachen Toursiegers könnte der Vuelta nämlich das nötige Prestige verschaffen, um sich neben Tour und Giro als dritte große Rundfahrt zu etablieren. Doch zuletzt konnte ihn nicht einmal der Ausschluß einer Banesto-Mannschaft ohne Induráin vor zwei Jahren dazu bewegen, im September für 23 Renntage aufs Rad zu steigen. Die Vuelta war für den Basken die Reha-Klinik für die Verlierer der Saison, die letzte Möglichkeit, noch etwas zu gewinnen.

In diesem Jahr ist Induráin plötzlich selbst auf der Suche nach dem verlorenen Sieg, und seinen Sponsor Banesto überkommt bei dem Gedanken an das absehbare Ende der Karriere des 32jährigen langsam die Panik, denn ein Nachfolger ist nicht in Sicht. Nach der Saison will sich der Star des Teams entscheiden, ob er ein Jahr dranhängt und doch noch einmal versucht, den einsamen Rekord eines sechsten Toursieges zu erreichen.

Die Banesto-Bank könnte sich mit dem Ende des Unternehmens „Induráin“ ganz aus dem Profi- Radsport zurückziehen. Entsprechend groß ist das Bestreben, das Erfolgsprodukt noch einmal auf die Straße zu schicken. Der Druck der Teamleitung war es, der Induráin zum Start veranlaßte, denn er selbst fühlte sich nach den zahllosen Kilometern, die er diese Saison in den Beinen hat, körperlich ausgebrannt und diagnostiziert sich selbst Motivationsprobleme aufgrund einer schweren Post-Tour- Depression.

Aber als einer der besten Radrennfahrer aller Zeiten unterliegt er den Gesetzen des Marktes. Sein Start bei der Vuelta bedeutet für den Sponsor eine gigantische Werbekampagne mit hoher Profitrate. Nach Schätzungen verdreifacht Induráins Ja-Wort die Einschaltquoten der Live-Übertragungen, und die Organisatoren müssen doppelt so viele Journalistenplätze bereitstellen wie für eine Rundfahrt ohne Induráin.

Dennoch zögerte die Teamleitung lange. Der Schock von der Tour, als König Miguel in den Alpen im Anstieg nach Les Arcs in ein „Hungerloch“ fiel und ihm sein legendäres Lächeln gründlich verging, sitzt noch tief. Seine Leibärzte glauben, dem Geheimnis für das unerwartete Versagen des „Tourminators“ auf die Spur gekommen zu sein: „Nach der plötzlichen Unterzuckerung versuchte er so wenig Zeit wie möglich zu verlieren, was zu Mikroverletzungen der Muskeln auf Zellebene führt, die verhinderten, daß er in Schlüsselsituationen sein volles Leistungspotential ausschöpfen konnte“, lautet die Diagnose von Inaki Arratibel.

Das positive Urteil der Mediziner über die körperliche Verfassung Induráins war entscheidend für seinen Start, denn alles andere als eine eindeutige Siegprognose galt bei Banesto als unkalkulierbarer Risikofaktor für die Psyche des Champions. Die Frage ist, wie der Radsport-Mythos im Falle einer Niederlage seine schrittweise Demontage verkraftet.

Und die Gefahr eines Scheiterns ist nicht gering, denn Induráin hat das Rennen durch sein Heimatland nie besonders geliebt. Zuletzt nahm er 1991 an der Vuelta teil, und obwohl seine ganze Mannschaft einschließlich des damaligen Chefs Pedro Delgado für ihn fuhr, reichte es damals nur zu Rang zwei hinter Melchor Mauri. Die Verlegung der Rundfahrt, die letztes Jahr erstmals im Herbst stattfand, sorgt für zusätzliche Unwägbarkeiten. „Ich weiß nicht, wie ich die Vuelta angehen soll, weil ich ein solch großes Rennen um diese Jahreszeit noch nie gefahren bin“, sagt Induráin.

Ganz abgefunden hat er sich nicht mit dem Diktat seiner Bosse, aber der anfängliche Ärger wegen der verordneten Überstunden auf spanischen Landstraßen ist inzwischen einer etwas positiveren Sicht der Dinge gewichen. Nachdem auch Tony Rominger seine Teilnahme zugesagt hat, könnte sich jener Dreikampf zwischen dem Schweizer, Induráin und dem französischen Vorjahressieger Laurent Jalabert entwickeln, der eigentlich bei der Tour de France erwartet worden war. Rominger scheint allerdings die Vuelta eher als Vorbereitung für die Straßen-WM in Lugano anzusehen.

Induráin, wünscht sich vor allem, daß es in der ersten Woche „ein bißchen Ruhe“ gibt. Da geht es auf eher flachen Etappen durch den heißen Süden Spaniens, und der höchst kälteempfindliche Radler hofft, daß er bei diesen ihm genehmen Bedingungen seine Bestform findet. Schließlich könnte Induráins erster Sieg bei der Vuelta nicht nur die spanischen Radsportfans, sondern auch ihn selbst ein Stück über die Enttäuschung der Tour hinwegtrösten, welche durch Olympia-Gold im Zeitfahren nur geringfügig gelindert wurde. Joachim Quandt/Matti Lieske