Südafrika hat seine Verfassung verloren

■ Das Oberste Gericht erklärt die im Mai verabschiedete neue Verfassung in mehreren Punkten für ungültig und gibt damit den Gegnern des ANC recht

Johannesburg (taz) – Das südafrikanische Verfassungsgericht hat die neue Verfassung des Landes abgelehnt, die erst vor vier Monaten nach jahrelangen Beratungen fertig geworden war. In einigen Punkten, so der Präsident des Gerichts, Arthur Chaskalson, gestern in Johannesburg, entspreche sie aber nicht den 34 Prinzipien, die in der derzeit noch geltenden Übergangsverfassung festgelegt sind. Die obersten Richter Südafrikas seien deshalb gezwungen, das 140 Seiten lange Dokument an die Verfassunggebende Versammlung zurückzugeben. Die hatte bis Anfang Mai zwei Jahre lang getagt. Jetzt muß die Versammlung wieder einberufen werden und hat drei Monate Zeit, um Änderungen vorzunehmen. Die neue Verfassung, die die Übergangsverfassung von 1994 ablösen soll, muß bis 1999 in Kraft treten.

Neben einigen Formalia hat das Gericht beanstandet, daß die Rechte der Provinzen in dem neuen Text geringer seien als in der Übergangsverfassung. Damit ist ein zentraler Streitpunkt in Südafrika berührt, und ironischerweise hat ausgerechnet die Inkatha-Freiheitspartei (IFP) unter Innenminister Mangosuthu Buthelezi mit dem Urteil einen Sieg erzielt. Die Zulu-Partei hatte die Verfassunggebende Versammlung boykottiert, mehr Rechte für die Provinzen gefordert und auf die Einschaltung internationaler Vermittler bei der Klärung dieser Frage gedrängt. Der ANC hingegen will einen möglichst starken Zentralstaat. Der Streit um die Föderalismusfrage ist nun neu entfacht, zumal das Verfassungsgericht gestern die neue Verfassung für die Povinz Kwa Zulu/Natal – der einzigen, in der Inkatha die Mehrheit hat – ausgerechnet mit der Begründung ablehnte, sie gebe der Provinz zu viele Rechte.

Ein weiterer heikler Punkt, den das Gericht im südafrikanischen Verfassungstext bemängelt, betrifft die Ausgestaltung von Tarifverhandlungen. Entsprechend der jetzigen Formulierung können Unternehmen nur als Mitglied eines Verbandes in Tarifverhandlungen auftreten, nicht aber als Einzelunternehmen. Bereits vor der Verfassungsverabschiedung war das einer der Streitpunkte zwischen der einstigen Apartheidpartei NP und dem ANC, die fast dazu führten, daß die Verfassung platzte. Der ANC konnte sich schließlich damit durchsetzen, das Recht auf Streik in die Verfassung aufzunehmen, und die NP scheiterte mit ihrer Forderung, auch das Recht auf Aussperrung festzuschreiben. Die entsprechende Einigung war erst wenige Stunden vor der Verabschiedung der Verfassung fertig. Einen Tag später kündigte die NP ihren Austritt aus der Regierung an. Kordula Doerfler