Mehr Not als Neigung

■ Auch Rudolf Scharping will endlich den Machtwechsel

Rudolf Scharping hat sich als erster Spitzenpolitiker der SPD öffentlich und weithin hörbar auf ein rot-grünes Bündnis zur Bundestagswahl 1998 festgelegt. Der unbewegliche Tanker SPD will, so scheint es, endlich machtpolitisch wieder Fahrt gewinnen. Doch wen überzeugen die neuen Töne, noch dazu aus dem Munde jenes Politikers, der nun an der Spitze der Bundestagsfraktion ins rot-grüne Horn tutet und ausspricht, was er als Kanzlerkandidat zu denken sich heftig sträubte?

So nimmt sich das Bekenntnis Scharpings kaum glaubwürdig aus. Es klingt mehr nach Panik auf der Titanic, nach Not statt Neigung, jedoch nicht nach einem selbstbewußten und wohlkalkulierten Konzept für den Wechsel auf der Bonner Bühne. Die Berührungsangst der Sozialdemokraten vor den Grünen wird noch in seiner Bemerkung sichtbar, er wolle mitnichten eine Koalitionsaussage treffen. Wenn nicht das, was sonst?

Immer noch wird so der Umgang der SPD mit ihren wirklichen Enkeln kenntlich: Allzulang hat die Sozialdemokratie die Grünen schäbig und von oben herab behandelt, sie, wie den armen Verwandten, nur verschämt und hinter vorgehaltener Hand als „geborenen“ Koalitionspartner anerkannt.

Vor sechs Jahren hätte Scharpings Ankündigung noch visionäre Kraft gehabt – jetzt kommt sie als allerletzte Rettung vor der bundespolitischen Bedeutungslosigkeit daher. Furcht – zwei Jahre vor den nächsten Bundestagswahlen – treibt offenbar die Bonner SPD zum Umdenken: Das unüberhörbare Werben Wolfgang Schäubles um die Grünen, erstmals sichtbar geworden bei der Wahl Antje Vollmers zur Bundestagsvizepräsidentin, hat bei der SPD nachhaltig Spuren hinterlassen.

Die Initiative Scharpings kommt zudem aus anderem Grunde viel zu spät: Alle Rechenexempel zeigen eindeutig, daß es – mit der PDS im Bundestag – für ein rot-grünes Bündnis nicht reicht. Die eigentliche Frage für die Nagelprobe auf die machtpolitische Entschlossenheit der SPD zur Wachablösung in Bonn stellt sich inzwischen anders: Rudolf (und Oskar und Gerhard), wie haltet ihr es mit der PDS?

Es deutet viel darauf hin, daß die Sozialdemokraten es mit der Beantwortung dieser Frage kaum eiliger haben werden als mit der zu den Grünen. Bernd Guggenberger