Reines Adrenalin im Tank

■ Thalia-Theater: Premiere von Jérôme Savarys „Mutter Courage“

Menschen, die viel, laut, schnell und pausenlos reden, hilft auch der beste Text nichts: Nach kurzer Zeit hört man nur noch Geschwätz. Im Chor einer geschwätzigen Inszenierung marschiert Szene auf Szene mit beharrlichem Rhythmus und gleichbleibender Intensität zwischen den Bühnenvorhängen hindurch in den Zuschauerraum und führt dort erst zu Betretenheit, dann zur Verflachung der Aufmerksamkeit, schließlich zu asphalthafter Langeweile. JérOome Savary, dessen plakative Betriebsamkeit auf dem Theater an die Multiplikation von Jacques Offenbach, Friedensreich Hundertwasser und Rosa von Praunheim denken läßt, hat genau das gerne. Pompadourhafte Auftritte, proletarische Blutgrätschen, grelles Zitatunwesen und reines Adrenalin im Tank – bei Savary wiegt der Schlachter den Inhalt, nicht der Goldschmied.

Logisch, daß der Krieg eine Revue sein muß, die schön knallt und kracht, ohne bitteschön unappetitlich zu werden. Doch da das Feuerwerk im Dreißigjährigen Krieg nicht so imposant ausfallen würde wie im Bosnischen, reist Mutter Courage durch die jüngste Vergangenheit, die uns Savary mit Can-Can tanzenden Soldaten und dümmlichen Veralberungen von CNN und Blauhelmen als Farce kritisch aufarbeiten möchte. Selbst die treuesten Abonnenten des Thalia-Theaters, die sonst gerne Szenenapplaus für Kalauer liefern, schwiegen an solchen Stellen peinlich berührt. Doch scheinbar fühlt sich Savary Brecht gleich, wenn er dessen analytische Ironie mit operettenhaften Übertreibungen illustriert. Das wird übrigens nirgends deutlicher als in den Liedern. Paul Dessaus Musik als Humptata-Teppich mißbrauchend, leitet der französische Showman seine mittelmäßig singenden Schauspieler zu Schrillheit an. Da wird das Singen über den Krieg und seine Leiden nicht zum distanzierenden Spott, sondern zur affektierten Verhöhnung.

Katharina Thalbachs Qualitäten schmiegen sich eng an dieses Konzept. Der konfettireiche Auftritt und die dreistündige Fahrt im fünften Gang liegen ihrem Temperament. Doch bei aller gestenreichen Hypermotorik kann sie dem szenischen Gebrüll immerhin noch dieNuancen abgewinnen, die aus dem Savary und seinem ununterbrochenem Kunstnebel gelegentlich den Brecht hervorscheinen lassen.

Gegen Schluß versucht Savary dann wenigstens, eine verstörende Beklemmung zu erreichen, aber auch dies geht nur mit dickem Auftrag aus Sentimentalitäten und Knalleffekt. Und außerdem hat sich da das Interesse längst erschöpft niedergelassen, und mit Brecht wissen wir: „Im Sitzen gibts kein Aufruhr.“Till Briegleb