Archaisches Klangmeer

■ Im Pier 2 feierte „Stomp“ Premiere: Perfekt synchronisierte Akrobatik, rhythmische Präzision

Es wurde wieder malocht auf dem AG Weser-Gelände. Wenigstens für Momente verwandelten acht Tänzerinnen und Tänzer das ausverkaufte Pier 2 in ein unterhaltsam hämmerndes Stahlwerk. Mit Anleihen an das traditionelle Arbeitermilieu versuchte das Tanztheater „Stomp“, dem Ausdruckstanz mit Erfolg die Kopflastigkeit zu nehmen. Reminiszenzen an echte Knochenjobs wie den Bergbau waren aber selten. Am Besen ackerten acht Akteure, darunter der Vorarbeiter, der alle antrieb und zeigte, wie das mit dem Stepp- und Borstenrhythmus geht. Auch dabei: der Clown, der mit seinem Unvermögen auf der Suche nach Anerkennung Kontrapunkte setzt. Eine ganz normale Belegschaft eben, die neben dem Tanzen aber vor allem eines tat: Geräusche machen.

Wenn sich die acht nur auf den Tanz verlassen würden, böte „Stomp“ nämlich wenig Neues. Nur sporadisch lockerten Karatetritte das kämpferische Gegeneinander mit Mülltonnendeckel und Bambusstock die alte Stepp-Schule auf. Ein Mehr an Ausdruck gibt es bei jedem mittleren Flamenco-Meister. Der „Stomp“-Tanz an sich ist athletisch, aber weiter auch nichts.

„Stomp“ lebt von der Kombination. Der Ideenreichtum der Szenarien, in denen getanzt wird, ist bemerkenswert. Und mehr: „Stomp“ haben immer auch Ideen, wie der Tanz klingen soll. Schon ein Fingerschnippen reicht als Initialzündung, ein Händeklatschen entfesselt eine virtuose, sechzehnhändige Schlackerorgie, in die schließlich alle Körperteile einstimmen.

Mal erschien die ganze Bühne als Schlagzeug, wenn sie mit dem Schrubben und Hämmern des realen Besens wie mit einem Jazzbesen bearbeitet wurde. Mal entwickelte sich das achtfache An und Aus des Gasfeuerzeugs, das daneben zum raffinierten Lichteffekt wurde, zum Swing. Die Pointen von „Stomp“ funktionierten perfekt: achtfaches Flamme-Ausblasen beschloß die Szene punktgenau. Doch das Erstaunen darüber, daß zeitweise mit Kehrschaufel, Gummischlauch oder der umgeschnallten Küchenspüle musiziert wird, wäre für sich genommen bestenfalls ein trivialer Genuß, für den „Die Doofen“ auch gut wären. Und Leute, die mit Ölfässern unter den Fußsohlen hopsen, gibt es auf jedem Jahrmarkt.

Erst die rhythmische Präzision und die Komplexität geben der Show das Recht, zum Musikfest zu gehören. Es sind die simplen, aber durch rasantes Gehämmer komplex wirkenden Musikfragmente, die entstehen, wenn man zu viert unter permanentem Löffelklopfen das Wasser aus Metalltassen gießt. Die Suche nach Alltagsgegenständen, die im einzelnen auf eine bestimmte Tonhöhe festgelegt sind, im Verbund aber zum archaischen Klangmeer taugen, wird in den Tanz gepackt. Ein Plastikfaß, eine volle, eine leere und eine arg verbeulte Mülltonne ergeben, von acht präzisen Akrobaten in Reihe angeschlagen, ein vom Kollektiv gespieltes Instrument. In diesen Momenten funktionieren „Stomp“ auch, wenn man die Augen geschlossen hat. Die Kompaktheit begeistert. Und wenn dazu noch vier Körper scheinbar schwerelos am Seil vor der Metallwand schwingen, ist es wie die Live-Übertragung eines eigenartigen Musikvideos aus der Fertigungshalle eines Stahlwerks.

Allerdings gab es auch Ausfälle: überzogen wirkte es, wenn das New Yorker Ensemble versucht, sich mittels Nase-Hochziehen und Räuspern einen proletarischen Anstrich zu geben. Der schnoddernasige Malocher wirkt verhöhnend und auf den Effekt hin – schließlich soll ja auch aus Rotz und debilem Gekicher wieder ein Klangszenario entstehen – konstruiert.

Doch solche Kleinigkeiten störten das Bremer Publikum ebensowenig wie die Tatsache, daß man für „Stomp“ auf den billigsten Plätzen horrende 50 Mark zahlt – und das sind Plätze, bei denen man nur die Oberkörper und nicht die wichtigen Füße der Akteure sieht. Brav aber ging das Publikum auf die Versuche des Vorarbeiters, mit dem Publikum per Mitklatschen zu kommunizieren, ein. Doch dem Teutonen läßt sich das Humtata nicht so einfach austreiben. So betrogen sich die steifen Bremer um ihr Grande Finale. Im Glauben, mal eben ein paar Zwölftel mitklatschen zu können, entstand das polternde Tohuwabohu, das Bierzelte so gemütlich macht, die „Stomp“-Crew aber in Windeseile vertrieb. Dermaßen gedeckelt, ging man dann bestens unterhalten, aber ohne gegen auch nur einen Abfallkorb zu hämmern, nach Hause.

Lars Reppesgaard

Bis 14.9. täglich im Pier 2; 20 Uhr