■ Helmut Kohl sorgt sich um Rußlands Präsidenten Jelzin
: Herzflimmern für die Demokratie

Helmut Kohl ist kein Arzt. Trotzdem äußerte sich der Bundeskanzler zuversichtlich darüber, daß Jelzins nahende Herzoperation erfolgreich sein wird. Dahinter steckt die Befürchtung, im Kreml könnte erneut der Machtkampf zwischen den Reformern und ihren Gegnern ausbrechen. Die Situation in Rußland unterscheidet sich heute jedoch markant von jener vor dem Putsch 1993. Damals war Boris Jelzin ein Garant der Demokratisierung Rußlands. Heute dagegen haben sich die Reformen so entwickelt, daß eine Rückkehr zum autoritären System kaum möglich scheint.

Die Kommunisten sind zwar imstande, die russische Staatsduma, das Parlament, zu kontrollieren. Wahrscheinlich auch werden sie während Jelzins Abwesenheit versuchen, ihren Einfluß auf die Politik auszubauen. Dies würde aber eine entscheidende Erweiterung der Duma-Vollmachten bedeuten, was eine radikale Verfassungsänderung voraussetzt – doch diese Chance hätte Sjuganow bereits während der letzten Monate nutzen können.

Rußland ist immer noch kein Rechtsstaat westlicher Prägung, was unter anderem der Krieg mit Tschetschenien beweist. Trotzdem ist die Verfassung erstmals in der russischen Geschichte zu einem staatsbildenden Element geworden. Jelzin bleibt für die russische Reform nach wie vor wichtig, aber nicht mehr unersetzlich. Die Politiker aus dem Umkreis des Präsidenten sitzen in den Startlöchern. Der stellvertretende Premierminister Tschernomyrdin würde die heutige Politik kaum ändern. General Alexander Lebed, trotz seiner bis heute erfolgreichen Friedensmission in Tschetschenien, ist in seinem autoritären Führungsstil dem Präsidenten ähnlich. Solange Jelzin auf seinem Posten bleibt, kann keiner von diesen Politikern einen entscheidenden Einfluß gewinnen. Sollte aber einer von ihnen der nächste Präsident werden, wird sich die russische Politik zwar ändern, doch die Reform kann nicht mehr rückgängig gemacht werden.

Jelzins Gesundheitszustand stellt ein Problem in erster Linie nicht für Rußland, sondern für die westliche, insbesondere für die amerikanische und für die deutsche Außenpolitik dar, die ihre Unterstützung der russischen Reformen auf die Unterstützung von Boris Jelzin beschränkt. Boris Schumatsky