Staatsanwälte sind keine Putzfrauen der Nation

■ Auf einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin diskutierten Politiker und Experten über Korruption in Deutschland. Kritik am Bonner Gesetzentwurf

Berlin (taz) – Als die neue Bürgermeisterin von Karlsruhe, Heinke Salisch, kürzlich auf einer Konferenz mit Amtskollegen über Korruption sprach, wurde sie belehrt. Es sei doch wunderbar, so ein Gesprächspartner zur SPD-Politikerin, daß ihre Stadt in den letzten zehn Jahren von derartigen Skandalen verschont geblieben sei. In Baden-Württemberg ticken die Uhren anders. Die Leidenschaft zur Bekämpfung von Bestechung „ist bei uns nicht so ausgeprägt“, stellte Salisch auf einer Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung über „Korruption in Deutschland“ fest.

Am vergangenen Freitag waren 220 Teilnehmer in Berlin zu einer Nachfolgetagung der SPD-nahen Stiftung zusammengekommen. Schon das erste Treffen vor eineinhalb Jahren, bei dem ein Katalog von Empfehlungen verabschiedet worden war, war auf großes Interesse gestoßen. Immerhin habe sich zumindest im öffentlichen Bewußtsein viel getan, auch seien in vielen Ländern ministerielle Arbeitsgruppen eingerichtet worden, so der Vizepräsident der Humboldt-Universität Berlin und Strafrechtsexperte Detlef Krauß. Bis 1995 habe man sich lediglich in Bayern und Hessen ernsthaft den diversen Formen der Korruption gewidmet, von unerlaubter Absprache bis hin zur Zahlung von Schmiergeldern an Mitarbeiter von Ämtern.

Vom hessischen Rechnungshof wurden bislang 21 von 26 Landkreise genauer unter die Lupe genommen. Überall sei seine Behörde auf „Projekte mit korruptiven Amtshandlungen“ gestoßen, stellte Udo Müller, der Präsident des Rechnungshofs, ernüchternd fest.

Die Kosten sind enorm. Jährlich entsteht Hessen bei 2,4 Milliarden Mark öffentlichem Bauvolumen ein Schaden von bis zu 170 Millionen Mark. Eine zentrale Meldestelle in Frankfurt hat bereits 47 Firmen von der Auftragsvergabe ausgeschlossen. Mit Selbstverpflichtungserklärungen oder Ethikkatalogen allein, wie sie etwa der Hauptgeschäftsführer des bayerischen Bauindustrie-Verbandes angemahnt hatte, sei der Korruption nicht zu begegnen, so der Tenor der Konferenz.

Folglich standen die Gesetzentwürfe des Bundesrates und der Bundesregierung im Mittelpunkt der Tagung. Vor allem Oberstaatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner aus Frankfurt am Main geht der Bonner Entwurf nicht weit genug. Denn im Gegensatz zur Länderkammer will die Bundesregierung auf die Kronzeugenregelung und die Telefonüberwachung verzichten, maßgeblich auf Druck der FDP. Umstritten ist auch das sogenannte Anfüttern – Zahlungen ohne konkrete Gegenleistungen –, das der Bundesrat unter Strafe stellen möchte. Für Berlins Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD) ist der Entwurf der Bundesregierung ein „Kaninchen ohne Zähne“.

Krauß war der einzige, der Unbehagen an weiteren Strafrechtsverschärfungen äußerte. Neue Paragraphen seien oft „Ersatz für reale Politik“. Krauß plädierte dagegen für verstärkte Prävention: Fortbildung der Amtsträger, zentrale Anlaufstellen, an die sich Behördenmitarbeiter mit Korruptionsfällen wenden können, generelle Trennung von Vergabe und Planung bei öffentlichen Bauaufträgen.

Mit an die Spitze der Korruptionsbekämpfung hat sich die Bauboom-Metropole Berlin gesetzt. Eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe wurde bereits eingerichtet, ein Gesetz zur Korruptionsvorbeugung soll bald folgen. Kernpunkt ist eine zentrale Erfassungs- und Koordinierungsstelle für Korruptionsfälle bei der Senatsverwaltung für Justiz. An sie soll sich künftig jeder wenden können; gegebenenfalls werden dessen Informationen an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet.

Noch immer gelte derjenige in Behörden als Nestbeschmutzer, der Verdachtsfälle aus seinem Haus melde, konstatierte auch Schaupensteiner. Die Ermittlungsbehörden seien zudem häufig auf Zufallsfunde angewiesen.

Dem könne mit einer Anzeigepflicht für Verwaltungen bei Verdacht auf erhebliche Straftaten begegnet werden. Schaupensteiners Fazit: Die Politik habe jahrelang die Justiz allein gelassen, die Staatsanwälte seien aber „nicht die Putzfrauen der Nation“. Neben Repression und Vorbeugung sei eine „allgemeine Ächtung“ der Amigo-Wirtschaft nötig. Severin

Weiland