Wie die Grünen in den „Kern der Gesellschaft“ vorstoßen könnten

■ Um ihr schlechtes Wahlergebnis analysieren zu können, baten sie in Rheinland-Pfalz um wissenschaftlichen Beistand

Trier (taz) – Eigentlich sollte die Studie des Politologen Jürgen W. Falter zur aktuellen Befindlichkeit der Bündnisgrünen und ihrer WählerInnen in Rheinland-Pfalz als Grundlage der Diskussion dienen. „Wissenschaftlichen Beistand“ bei der Erforschung der Ursachen für das desaströse Landtagswahlergebnis vom März 1996 (6,9 Prozent), so der inzwischen zurückgetretene Landesvorstandssprecher Mehdi Jafari-Gorzini, habe man sich ins „grüne Haus“ holen wollen. Doch dazu wird es wohl nicht kommen.

Auf der Landesdelegiertenversammlung, die am Wochenende in Trier stattfand, zerpflückte der Europaabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, Frieder Otto Wolf, die Analyse von Falter genüßlich. Und die Basis dankte es ihm mit Szenen- und Schlußbeifall. Während in der Studie ausgeführt wird, daß die Bündnisgrünen inzwischen eine wählbare Partei vor allem für Angestellte und Beamte geworden seien und sich die „Unterprivilegierten“ nur marginal vertreten fühlten, konstatierte Wolf, daß dies eben „kein spezifisches Problem der Bündnisgrünen“ sei.

Die um die Partizipation an der Gesellschaft betrogenen Gruppen, etwa die Arbeitslosen, verweigerten sich inzwischen kollektiv den Parteien. Das bekämen alle demokratischen Parteien zu spüren. Daraus – wie Falter – den Schluß zu ziehen, daß sich die Bündnisgrünen nun als Partei des „neuen Mittelstandes“ neu zu definieren hätten, um ihr WählerInnenpotential halten und ausbauen zu können, ist für Wolf der „direkte Weg in die Sackgasse“.

Gerade die sogenannten Unterprivilegierten seien das politische „Aktivierungspotential“ auch für die Bündnisgrünen. Wolf: „Wir müssen Angebote formulieren, in denen sich die Menschen wiedererkennen können.“ Er wies auch die von Falter mit demoskopischen Mitteln eruierte These zurück, wonach die Grünen längst „ergraut“ seien. „Wir werden zwar älter – bleiben aber grün.“

Er selbst, sagte Wolf, sei mit 20 Jahren weniger radikal gewesen als heute: „Die 40jährigen von heute haben mehr gemeinsam mit den 20jährigen von 1970 als mit den 40jährigen von 1970.“ Dennoch: Die Partei müsse hart daran arbeiten, die nachwachsenden Generationen an sich zu binden und rechtzeitig „die Wachablösung“ organisieren. Aber auch das sei „kein grünspezifisches Problem“.

So richtigen „Interpretationsfrust“ holte sich Wolf offenbar beim Lesen der „zu Abziehbildchen gewordenen“ Thesen von Falter zur Stellung der Bündnisgrünen innerhalb der Gesellschaft und des Parteienspektrums. In der „gesellschaftlichen Mitte“ sieht Falter nach einer „höchst unspezifischen“ (Wolf) Befragung der WählerInnen die Zukunft der Partei. Doch wo, so Wolf, sei die „gesellschaftliche Mitte“ verortet? „Zwischen traditionellen Linken und erzkonservativen Rechten? Da seien die Bündnisgrünen schon immer einzuordnen gewesen. Heute müsse es der Partei darum gehen, in den „Kern der Gesellschaft vorzustoßen und die Kommandohöhen“ zu besetzen. Wolf: „Im Kern der Gesellschaft entscheidet sich die Machtfrage.“

Der Parteitag hatte seinen Helden. Und das Thesenpapier von Falter, der seinen angekündigten Auftritt schwänzte, wird in Rheinland-Pfalz wohl demnächst dem Papierrecycling zugeführt werden. Klaus-Peter Klingelschmitt

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