■ Nachschlag
: Einsamer nie... – Ein Benn-Abend mit Marlies Ludwig im Hoftheater

„ein Wort –, ein Glanz, ein Flug, ein Feuer, / ein Flammenwurf, ein Sternenstrich – / und wieder Dunkel, ungeheuer / im leeren Raum um Welt und Ich“ (Gottfried Benn: Ein Wort, 1941).

Der leere Raum im Hoftheater Prenzlauer Berg, 55 Jahre danach: Ein weißer Stuhl, ein Hocker, ein Standspiegel, umhüllt von einem Tuch. Der Rest an diesem Abend sind eine furiose Marlies Ludwig und die Texte von Gottfried Benn. Endlich mal wieder.

Die Gedichte Benns: Vielleicht, daß sie wie an niemanden gerichtet scheinen, wie eine Stimme hinter dem Vorhang. Einsamkeit als Existenzform. Wer Benns fast teilnahmslos wirkende, leiernde und trotzdem bannende Stimme einmal gehört hat, vergißt die Klang- und Bilderfülle nicht mehr. Eine hohe Hürde für Marlies Ludwig. 60 Minuten allein mit Benn. Sie schafft es mal schnoddrig, mal deklamierend, mal rezitierend, den Blick in die Ferne geheftet oder mit irritierender Schärfe ins Publikum. Immer kreuz und quer im spärlich ausgeleuchteten Raum, auf dem Boden und hinter den Zuschauern, als gäbe die Bewegung, nicht die Beschwörung das Geheimnis der Wörter frei (Inszenierung: Hartmut Krug). Dazu Benn-Tanz, Benn- Ballett und Benn-Chanson – und das nicht nur bei den Gedichten, die sowieso etwas schlagerliedhaftes haben. Das ist manchmal etwas viel Verfremdung und Zappeligkeit, aber gleich wurde die Ludwig wieder von Benns dunklen Texten auf den Boden des Rezitierens zurückgeholt, von diesen Flammenwürfen in ihrer oft heillosen Nominalwelt (“Schamloses Schaumgeboren / Akropolen und Gral / Tempel, dämmernde Foren / Katadyomenal“).

Die Textsammlung für diesen Benn-Abend folgte eher dramaturgischen als chronologischen Gesichtspunkten: Best of Benn. Das ist der romantische, der zynisch-lakonische, der wissende, oft witzige Ton der Klassiker. „Melancholie“ (“Was ist der Mensch –, die Nacht vielleicht geschlafen / doch vom Rasieren wieder schon so müd“), „Auf deine Lider senk' ich Schlummer“ (“...auf deine Lippen send' ich Kuß“), „Einsamer nie“ oder „Gesänge“ (“Oh, dass unsre Ur-ur- ahnen wären / Ein Klümpchen Schleim in einem warmen Moor“). Mehr gibt es eigentlich nicht zu sagen. Als die Benn-Stunde vorbei war, wurde es wirklich ein wenig dunkel, im gar nicht so leeren Raum um Prenzelberg und Ich. Moritz Ehrmann

Nächste Vorstellungen am 20./21. 9. und 3. bis 5. 10, 20.30 Uhr, Hoftheater Prenzlauer Berg, Sonnenburger Straße 70