"Da wird es viel Widerstand geben"

■ Interview mit Tom Stryck, Berater der Schulsenatorin: Schule muß erwachsen werden und selbst entscheiden dürfen. Stellenabbau in der Verwaltung unvermeidlich. Landesschulamt verursacht "Doppelbearbeitung

taz: Warum sind Sie nach Berlin gekommen? Es gibt doch keine Wohltaten, sondern nur Grausamkeiten zu verteilen.

Tom Stryck: Gestalten muß nicht unbedingt Geld kosten. Natürlich gibt es Bundesländer, in denen eine Diskussion über eine andere Schule mit höheren Freiheitsgraden entwickelter ist. Ansätze gibt es. Das wird auch meine Aufgabe sein, dies weiterzuentwickeln. Man wird sehen, was ich für Spuren hinterlassen kann.

Als Sparkommissar oder als Schulreformer?

Ich mache nicht die Eckdaten für den Haushalt. Klar ist, daß es Grenzen gibt, unter die eine Ausstattung von Schulen oder Kitas nicht gehen kann. Interessant ist aber, daß es ohne diese Debatte über sinkende Steuereinnahmen und Ausgaben einen Reformdruck nicht geben würde. Ich halte die pädagogische Strenge der Finanzsenatorin Fugmann-Heesing deshalb für absolut wichtig. Sonst wird nicht ernsthaft diskutiert. Aber es ist natürlich auch die Frage, ob für gesellschaftlich notwendige Projekte Geld übrig bleibt. Da müssen wir aufpassen, daß es in der Spardebatte keine Gleichgültigkeit gegenüber den Inhalten gibt. Das kenne ich aus Frankfurt.

Die Notlage als Chance?

Genau. Eine Krise ist ein Reformfenster. Da gibt es einiges zu tun. Eine Problematik ist die besondere Konstellation zwischen Senatsverwaltung und den Bezirken. Es kann nicht sein, daß die Bezirke im Grunde im Schulbereich mit dem zugewiesenen Geld machen, was sie wollen. Das ist weder gerecht noch sachgerecht.

Die Bezirke haben doch gerade mehr Autonomie erhalten mit dem Globalhaushalt.

Ich führe nicht die Debatte, was brauchen die Bezirke, sondern frage, was brauchen die Schulen. Wenn sich hier Senatoren und Abgeordnete lange Gedanken machen, was ist die Mindestausstattung von Schulen, dann kann es nicht sein, daß schlußendlich dann nur noch 30 bis 40 Prozent der Gelder für Lehrmittel ankommen. Einen Mindeststandard von Schulen muß man über die ganzen Bezirksunterschiede hinweg wahren. Es kann nicht sein, daß ein Kind dafür bestraft wird, daß es in einem anderen Stadtteil wohnt.

Wie kann Schule zeitgemäßer und schlanker werden?

Mit der Budgetautonomie wird man Schule noch gar nicht so weit verändern. Es ist aber ein wichtiges Begleitinstrument dorthin, daß die Schule erwachsen wird und die Verantwortung für ihre Angelegenheiten übernimmt. Schulen sollen ihr eigenes pädagogisches Profil schärfen. Dazu brauchen sie beispielsweise die Möglichkeit, die Personalauswahl selbst vornehmen zu können. Das Entscheidende wird sein, von dieser Zentralverteilung wegzukommen. Schulen, die nachweislich einen vernünftigen, an den Schülern orientierten Qualitätsweg gehen, müssen Personal auswählen können. Alles andere ist absurd.

Ich bin dafür, daß Schulen sich selbst gegenüber Erwartungen formulieren. Man muß Debatten initiieren und praktische Verfahren vorschlagen. Es geht darum, daß es Schulen ermöglicht wird, Visionen aufzubauen und wir sie darin unterstützen. Wir werden trotzdem nicht an dieser Kürzungsdebatte von Lehrerstunden vorbeikommen. Ich will die Beweispflicht umkehren: Eine Schule darf alles, wenn es sinnvoll ist und der Qualität von Bildung dient. Darin darf man sie nicht behindern. Eine Behörde muß beweisen, warum es unsinnig ist, was die Schulen wollen. Wo sitzen denn die Praktiker, die Unterricht machen? Ich glaube, da wird es sehr viel Widerstand in der Verwaltung geben.

Welche Rolle spielt das Landesschulamt bei dieser Reform?

Die Debatte um das Landesschulamt ist nicht beendet. Ich glaube persönlich, daß mit der Gründung des Landesschulamtes Doppelbearbeitungen innerhalb der Behörde entstanden sind. Ob gesetzliche oder organisatorische Regelungen neu getroffen werden, wird man sehen. Für mich ist völlig klar, daß Schulaufsicht ganz dicht an die Schulen gehört. Aber nicht mehr als Beaufsichtigung, sondern um Schulen zu unterstützen. Klar, Prüfungen muß man abnehmen und andere staatliche Aufgaben wahrnehmen. Aber die Hälfte der schulaufsichtlichen Tätigkeit muß Beratung, Unterstützung und Qualitätssicherung sein. Die Schulaufsicht muß beispielsweise dafür sorgen, daß eine Schule, die Lehrkräfte für Englisch oder Musik sucht, eine Liste mit vier entsprechend qualifizierten Kollegen bekommt, aus denen sie auswählt. Das kann ich mir auch innerhalb der Konstruktion eines Landesschulamtes vorstellen.

Wie die neue Schule aussieht, müssen vor allem die Schulen entwickeln und nicht irgend ein Chefdenker in der Behörde. Ich muß die Wege mit ermöglichen. Für mich ist die zentrale Frage, wie ich die bürokratischen Fesseln wegbekomme. Parallel mit der Autonomie von Schulen muß der Umbau der Verwaltung einhergehen. Sonst klappt das nicht. Alle reden davon, Schulen zu motivieren. Aber da muß man erst einmal aufhören, sie zu demotivieren. Das hat etwas mit Demokratie und auch Freiheit zu tun. Traut man Schulen zu, daß sie Kindern wirklich eigenständig Wissensbestände vermitteln, erziehen, sozialisatorische Kompetenzen und vor allem Empathie und Selbstbildstärkung hinkriegen? Dann darf ich die Schulen nicht überregulieren.

Gibt es in den Schulen ein zu großes Anspruchsdenken?

Da die Standards ja schon alle abgesenkt sind, wüßte ich jetzt gar nicht, wovon sich eine Einzelschule trennen sollte. Wenn sie ein Globalbudget bekommt, wird sie dies selbst entscheiden.

Nach Statistiken hat Berlin die meisten Lehrer, aber auch die größten Klassenstärken – die Lehrer kommen also nicht in den Klassen an.

Diese Statistik läßt den Schluß zu, daß es sehr viele Sonderprogramme gibt, wo es in der unmittelbaren Lehrer-Schüler-Relation nicht wirksam wird. Ich weiß nicht, wohin überall Lehrer abgeordnet sind, ohne unterrichtsrelevant zu sein. Aber alle Aufgaben, die integrativer Natur sind, kosten Zeit und Geld. Ich bin allerdings der Meinung, daß Schule noch der einzige Ort der Gesellschaft ist, wo Integration funktioniert. Wer die Zahl der Lehrer abbauen will, muß aufhören, die Schule mit vielen Ansprüchen zu befrachten. Ich glaube aber nicht, daß mit der schlichten, nackten, bloßen Erfüllung des Stundenplans der Bildungsauftrag einzulösen ist. So eine Schule hat noch nie einer gesehen. Man kann nicht alle wichtigen Integrationsleistungen von Schulen auf Null zurückschneiden. Wer das tut, kann nicht über Zukunftsfähigkeit reden.

Aber sind wir denn bereits am kritischen Punkt angelangt?

Ich habe das noch nicht durchgerechnet. Aber ich stelle dieses Stoppsignal mal auf, weil ich die Debatte in anderen Bundesländern kenne, wo das schon durchgerechnet wurde. Man kann sehr leicht sagen, na gut, wir führen zurück. Und nachher will aber keiner die Leistungen missen, die wegfallen. Alles, was integrative Leistungen über den Stundenplan hinaus sind, würde ich als letztes angehen.

Sie sind nicht nur Schul-, sondern auch Verwaltungsreformer. Was bedeutet das für die Jugend- und Schulverwaltung?

Die beiden Verwaltungen gehören ganz eng zueinander, allein um Doppelbearbeitungen zu vermeiden. Denn Kinder sind zwar morgens Schüler und nachmittags Jugendliche – trotzdem sind es die selben Wesen. Deswegen muß das in einer Zuständigkeit liegen und nicht zweimal bearbeitet werden.

Was soll dabei herauskommen?

Daß bei solchen Organisationsüberlegungen am Ende eine effizientere Verwaltung mit weniger Leuten stehen muß, daraus mache ich keinen Hehl. Wenn vor Ort beispielsweise in den Schulen mehr gemacht wird, kann das nicht innerhalb der Verwaltung wieder reproduziert werden. Von einer Mark muß möglichst viel bei den Institutionen ankommen und möglichst wenig auf dem Weg dahin aufgefressen werden. In Frankfurt sind beispielsweise bei dem Prozeß Schulen mehr Selbstverantwortung zu geben, eine ganze Reihe von Stellen abgebaut worden. Das tut immer weh. Ich kenne aber keine begründbare Alternative dazu. Es wird zu viel Geld durch Verwaltungen aufgefressen, die sich nur mit Verwaltung beschäftigen und nicht mit dem unmittelbaren Service.

Ist das Versprechen des Senats, keine betriebsbedingten Kündigungen vorzunehmen, nicht ein Hemmschuh?

Ich kann nicht alle Widersprüche auflösen. Das sind Paradoxien.

Das Interview führten Christian Füller und Gerd Nowakowski