Das Böse ist niemals banal Von Mathias Bröckers

Daniel Goldhagens Bestseller über „Hitlers willige Vollstrecker“ hat zu einer Neuauflage des Historikerstreits über die Einmaligkeit der deutschen Verbrechen geführt, wobei sich die Historiker diesmal untereinander weitgehend einig sind, jedoch, so Christian Semler (taz vom 7.9.), „dem breiten Publikum genau das gefällt, was die Fachkollegen mißbilligen“. Nämlich Goldhagens These eines „eliminatorischen Antisemitismus“ der ganz normalen Deutschen, ihrer alltäglichen Unbarmherzigkeit, Brutalität und Grausamkeit gegenüber Juden. „... die kleinen Bosheiten waren Massenprodukte, die großen Bosheiten wurden ,von oben‘ verordnet und wurden mit lokalgefärbten kleinen Bosheiten und Entwürdigungen und Erniedrigungen von seiten der Masse durchgeführt. Davon angefangen, daß der Jude im Amt stundenlang warten mußte, ohne sich ,vordrängen‘ zu dürfen, bis dahin, daß er als ,Saujud‘ angebrüllt und noch einen Tritt oder Stoß bekam (...) Diese Art Durchführung von gemeinen Gesetzen in einer gemeinen Art war eine Entwürdigung von Menschen, an der kein ,Führer-Befehl‘ schuld war, sondern die Masse selbst.“ Diese Einsicht stammt nicht von Goldhagen, sondern wurde bereits vor einem halben Jahrhundert geäußert (F. W. König/ R. Koimziolu, „Verreckt“, Wien 1946). Doch spätestens mit dem Entstehen der deutschen Staaten hatten solche Thesen keine Chance mehr. Die deutschen Mörderlein und Schikaneure, die kleinen Dreckskerle und „Radfahrer“ wurden wieder gebraucht: „Die Mörder sind unter uns“ lief nicht nur im Kino, Adenauer machte auch den Nazi Globke zum Minister. Hannah Arendt lieferte dann 1964 mit der Theorie von der „Banalität des Bösen“ die dringend benötigte Erklärung dafür, wie aus den Charakterschweinen von gestern quasi über Nacht Gutmenschen werden konnten: Nicht die charakterliche und moralische Niedertracht der Deutschen war demnach für den NS-Terror verantwortlich, sondern ihr Eingespanntsein in einen totalitären, bürokratischen Apparat. Der „Schreibtischtäter“, der ohne emotionale Regung Todes- und Deportationsurteile abstempelt, die „Buchhaltermentalität“ bloß funktionierender Befehlsempfänger – diese Stereotypen der Banalität machten als Erklärungsmuster Karriere und brachten das Böse, den häßlichen Deutschen, zum Verschwinden. Wenn selbst der fanatische SS-Schweinehund Adolf Eichmann nur ein Rädchen im Getriebe, ein „Hanswurst“ (Arendt) war, was ist dann den normalen Deutschen anzulasten? Nichts! So erklärt sich der bis heute währende Erfolg der Arendtschen These in Deutschland; anderswo wurde dieser banalistische Quatsch kaum ernst genommen, denn: Das Böse ist niemals banal! Es ist konkret, praktisch und stets an handelnde Personen und an Motive gebunden. Dies wieder auf den Punkt gebracht zu haben, ist Goldhagens großes Verdienst. Und seine Kritiker, die auf die totalitären Strukturen, den Machtapparat des Faschismus verweisen, vergessen: Die deutsche Mordmaschinerie konnte nur deshalb so perfekt funktionieren, weil die deutschen Bürokraten eben keinen Dienst nach Vorschrift versahen; sie waren mit Herz, Seele und millionenfachem kleinem Haß bei der Sache, willig, diensteifrig und beflissen – vom großen Führer bis zum kleinen Schützen Arsch.