Die Siege des netten Herrn Löw

Nach dem 4:0 gegen Köln, dem vierten Bundesliga-Sieg in Folge, ist der nächste Cheftrainer des VfB Stuttgart medial festgelegt  ■ Aus Stuttgart Peter Unfried

Tief im kollektiven Fußball- Bewußtsein verwurzelt ist folgende Assoziation: Löw? Ist nett! Nett? Ist prima! Dabei ist es noch kein Monat, daß er beim VfB Stuttgart den Trainer- Verweser gibt. Aber: Vier Bundesliga-Spiele (plus ein Pokalspiel) sind es mittlerweile, die der Interimstrainer Joachim Löw mit dem VfB Stuttgart gewonnen hat. Bereits nach dem zweiten Sieg war der Mann publizistisch eingeordnet. Den Liga-Kampftitel hat ihm logischerweise Bild verpaßt. Löw ist „der nette Herr Löw“. Bild lügt nicht: Wenn man den Mann sieht, kann man kaum umhin, zu denken: Ah, da sitzt ja der nette Herr Löw.

„Ich bin da ein bissle reingedrückt worden“, sagt Löw, „vielleicht, weil ich offen und ehrlich bin.“ Er sagt, man müsse trennen zwischen der Art und Weise, wie er sich gebe, und der Art und Weise, wie er mit einer Profimannschaft Erfolge zu erarbeiten gedenke. Es wisse ein jeder, daß er, „wenn die Dinge nicht so laufen, auch kompromißlos sein“ könne. Tatsächlich wird kolportiert, wie er dem Spieler Thomas Berthold in Stellvertretung seines Vorgängers Rolf Fringer mal eine Geldstrafe aufgebrummt hat für Verspätung am Mittagstisch.

Das dritte 4:0 im vierten Spiel, das sonntägliche gegen den 1. FC Köln, muß man allerdings nicht als Ergebnis ausgeprägten Zuchtmeistertums interpretieren. Im Gegenteil. Die Mannschaft befindet sich derzeit offenbar in einer Art paradiesischer Phase. „Net ganz schlecht“, sagen die Schwaben in einem solchen Moment höchster Ekstase. Fußball wird als Erlebnis zelebriert, und das größte Erlebnis haben die, die für den VfB auf dem Platz stehen. Es handelt sich ganz offensichtlich um einen zwar temporären, doch nichtsdestotrotz aufregenden Gegenentwurf zum Bekannten: Eine heile Fußballwelt, die über positive Vibrationen funktioniert. Fallen Tore, stellen sich Ergänzungsspieler und Trainer an der Seitenlinie auf, und alles, was in die Nähe kommt, wird geherzt. Als Auswechselspieler Haber auf den Platz wollte, mußten zunächst größere Herzlichkeiten ausgetauscht werden, dann erst Matthias Hagner.

Das Seltsame: Es wirkt alles echt. „Die Spieler“, sagt Löw, „freuen sich nach den Frustrationen der Rückrunde richtig.“ Der Spaß ist aus den Siegen entstanden, die Siege im wesentlichen wohl aus einer Modifizierung des Fringerschen 4-4-2.

Der VfB spielt jetzt ein weniger raumorientiertes 3-5-2. „Das System ist nicht entscheidend“, sagt Löw, „entscheidend ist, wie man organisiert ist.“ Tatsächlich wirkt das Team besser organisiert. Die Manndecker Berthold und Schneider fühlen sich wohler, seit ihre vormals komplexere Arbeitsbeschreibung verschlankt worden ist. Und es sind im Mittelfeld bisher weniger brisante Situationen entstanden, seit Balakows permanente Offensivaktivitäten im Zentrum von zwei Mitspielern abgesichtert werden, Poschner (für Foda) und Neuzugang Soldo.

Das Schlüsselwort für den neuen Mann ist: „Ruhe“. Wenn es sich am Spielfeldrand aufzumanteln gilt, dann muß das Hadern mit der ungerechten Welt der Betreuerkollege Adrion übernehmen. Löw hat seine Arme sicher über der Brust verwahrt. Seine Geste: Die ausgestreckte Hand vom Körper weg etwas nach unten bewegen. Ruhig bleiben, heißt das. Gegen den 1. FC Köln sah er zu viele aufgeregte Abspielfehler, die den Weg nach vorne bremsten. „Die sollen ruhig bleiben“, hieß die Anweisung, „den Ball zirkulieren lassen, und dann irgendwann wieder zuschlagen.“ So geschah es. „Zuspiel von Fredi Bobic zu Elber, und der macht das Tor.“ Tja: Das 3:0, zum Beispiel, war so beeindruckend, daß der Stadionsprecher es zwanghaft nacherzählen mußte.

Joachim Löw hat für den VfB, Eintracht Frankfurt und den KSC 52 Bundesligaspiele gemacht. Als Fringer ihn vor einem Jahr rief, war er gerade Spielertrainer bei einem Schweizer Drittligisten. Die Mannschaft hat er im Vergleich zu seinen Beobachtungen vom Vorjahr „gereift“ gefunden, und mit dafür gesorgt, daß die Hierarchie modifiziert wurde. Fredi Bobic ist nun Chef, der Kapitän Frank Verlaat gehört auch zum Führungspersonal. Diese Spieler beschreibt Löw als „sehr erfolgsorientiert“. Er verbessert: „erfolgsbesessen“. Die weniger Besessenen sind nach hinten gerutscht in der Hierarchie.

Aber, ach: Das schönste Glück ist stets besonders fragil. Am Wochenende muß der Tabellenzweite VfB zum Dritten nach Dortmund, danach zum KSC, dann soll entschieden werden, ob aus dem Interimstrainer Löw ein Cheftrainer wird. „Die Aktien stehen gut“, sagt Gerhard Mayer-Vorfelder. So gut, daß auch der eben noch geschmähte Präsident schon wieder von freundlichen Kameras und Autogrammheischenden umschwirrt ist. Der erfahrene Mehrheitspolitiker wird den Teufel tun, gegen ein offensichtliches Votum der Öffentlichkeit einen anderen Cheftrainer zu installieren. Er ist ja selbst beeindruckt, sagt er, von der „ungeheuren Nähe zu den Spielern“, die doch bei Löw gepaart sei mit einer „großen Autorität“. Die Vorgänger hatten ja gehen müssen wg. zu großer Nähe (Röber) bzw. zu großer Distanz (Fringer).

Dessen ungeachtet scheint es so: Joachim Löw (36) aus Strümpfelbach, den man in Stuttgart „Jogi“ nennt, verkörpert eine Sehnsucht. Das Gute siegt! Er ist eine Schwärmerei. Haltbarkeitsdatum? Will er sich als mediale Figur etablieren, muß er der Öffentlichkeit auch Abgründe anbieten. Will er gar Mayer-Vorfelder Paroli bieten können, erst recht.

Im Presseraum sitzt Joachim Löw nach dem Köln-Spiel auf dem Podest. „Ihr geht jetzt nach Dortmund“, fragt der Kollege Neururer und grinst, „das ist ein leichtes Spiel.“ Löw lächelt und verzichtet auf eine schlagfertige Antwort. „Wenn's auf den Platz geht“, sagt er später, „ist es vorbei mit der Nettigkeit.“ Dann holt man ihn ab und bringt ihn in das VIP-Zelt vor dem Stadion. Bei seinem Eintreten prasselt Beifall auf.

1. FC Köln: Kraft - Kostner - Schmidt, Baumann - Braun (66. Zdebel), Hauptmann, Thiam, Munteanu, Andersen - Gaißmayer (46. Polster), Vladoiu

Zuschauer: 52.800; Tore: 1:0 Schneider (49.), 2:0 Soldo (51.), 3:0 Elber (71.), 4:0 Balakow (78.)

VfB Stuttgart: Wohlfahrt - Schneider, Verlaat, Berthold - Hagner (68. Haber), Soldo, Balakow, Poschner (80. Fournier), Legat - Elber, Bobic (80. Gilewicz)