Der Duft von H & M

Weiche Wolle, frisch gewaschen: In Aachen werden Fotos von Beat Streuli und Stefan Altenburger gezeigt  ■ Von Martin Pesch

Die Menschen sieht man fast immer nur bis zur Hüfte. Mit dem Teleobjektiv löst Beat Streuli die zufällig Passierenden aus dem Gedränge auf großstädtischen Bürgersteigen heraus. Gesten, Mimik, Haltungen – alles erscheint ungezwungen und alltäglich. Dabei sind es vornehmlich junge Frauen, die man auf seinen Fotos zu sehen bekommt: meistens einzeln oder in Kleingruppen, oft in Gespräche vertieft. Manchmal benutzt der 1957 in der Schweiz geborene und in Düsseldorf lebende Streuli auch eine Motorkamera und projiziert mit den Ergebnissen ganze Bewegungsabläufe an die Wände der Ausstellungsräume. Seltsamerweise sehen alle von Streuli fotografierten Leute irgendwie hübsch aus, frisch gewaschen, weiche Baumwolle, stets herrschen Sonnenschein und sommerliche Farben, allgegenwärtiger Esprit- oder H & M-Style, vor. So gesteht er auch der Werbung das Vermögen zu, „das Wesentliche unserer Zeit, die Ideale der Menschen von heute“ zeigen zu können.

Man kann nicht umhin, Streulis künstlerischem Projekt einen romantischen Grundton zuzusprechen. Die massenhaft angefertigen Fotos – für Projektionen hat er schon bis zu 700 Dias benutzt – dienen ihm als Beleg, die an den einzelnen Personen jeweils ablesbaren besonderen Stile und Attitüden zusammenzutragen. Als Gipfel des Bergs dieser Allgemeinheit soll dann das „Wesentliche unserer Zeit“ sichtbar werden. Und wenn es am Ende lediglich die schlichte Beobachtung ist, daß es nichts anderes gibt als die Rollen, in die jede/r gezwungen oder gerutscht ist. Streuli hat damit großen Erfolg. Seine Fotos touren weltweit durch Museen und Galerien.

Geschäftigkeit Marke Fernost

In Aachen zeigt er nun zum erstenmal eine Fotoserie, die 1995 in Kwangju, Korea, entstand, anläßlich der dortigen Biennale. Als er in Fernost ankam, war die Ausstellung noch im Aufbau begriffen. Auf seinen Fotos sind deshalb Handwerker, Presseleute, Bauarbeiter und Hostessen zu sehen. Insgesamt herrscht der Eindruck eines geschäftigen und zielgerichteten Treibens. Das mag ein Unterschied zu früheren Bildserien sein.

Ähnlich unspektakulär funktioniert auch ein Video, das mit einem simplen TV-Gerät übertragen wird. Unbewegt filmt die Kamera einen urbanen Platz, ebenfalls in Kwangju, ab. Sie selbst bleibt unbemerkt, was daran zu erkennen ist, daß mitunter ein Passant vor der Linse stehen bleibt und die Perspektive versperrt. Video und Fotoserie sind bei derselben Gelegenheit entstanden. Die durch sie gezeigten Menschen aber scheinen sich an unterschiedlichen Orten aufzuhalten.

Wohlüberlegt kombinierte die Aachener Kuratorin Renate Puvogel diese neue Arbeit Streulis mit denen von Stefan Altenburger. Der junge Schweizer Künstler (geb. 1968) machte in der letzten Zeit mit Fotografien auf sich aufmerksam, auf denen die unscheinbarsten Dinge zu sehen sind. Übriggebliebenes Zeug am Rande urbaner Gegenden. Ein alter Pappkarton, eine herumfliegende Plastikplane. Dinge, die ihres Zwecks enthoben sind, überflüssig, ohne Ort und Bestimmung.

Zwei seiner Fotoarbeiten sind in Aachen zu sehen. Auf dem Foto „Installation (Sand) Zürich 1993“ sieht man ein Detail eines Hauses: ein zugemauertes Kellerfenster, abplätternder Estrich und ein bißchen Vegetation um einen kleinen Sandhaufen herum. Altenburger hält Ausschau nach solchen Settings, fotografiert sie, zieht die Fotos auf den Maßstab 1:1 hoch und klebt die Abzüge auf eine Polyethylenplatte. Derartige Szenen nennt er „Installation“, als ob es sich bei ihnen um bewußt herbeigeführte Konstellationen handeln würde. Er versucht also, das rein Zufällige abzubilden, indem er es zur Kunst ernennt und es durch die Maßstabstreue doch nah an seiner jeweiligen banalen Realität beläßt.

Während Streuli hinter den Personen, die seine Fotos präsentieren, das „Wirkliche“ herausheben möchte, beläßt Altenburger das Wirkliche, wie es ist, und adelt das jeweils Besondere, Partikulare in einer ironischen (vielleicht sogar sarkastischen) Geste zur Kunst. Beide Künstler thematisieren also auf unterschiedliche Weise ihren Zugang zur Wirklichkeit und stellen die Frage nach deren Abbildbarkeit. Vom Widerspuch zwischen ihren Ansätzen lebt diese Doppelausstellung.

Die Ironie des Rockmusikers

Ein besonderer Gegensatz ist Altenburgers immer offensiver auftretender Witz. Das wird insbesondere in einer eigens für diese Ausstellung kreierten Videoinstallation deutlich. In einem abgedunkelten Raum stehen eine E-Gitarre, ein Verstärker und ein geöffneter Gitarrenkoffer, in den ein paar Münzen geworfen wurden. Auf die gesamte Rückwand des Raums wird ein Film projiziert, in dem Altenburger vor eben dieser Wand steht und einige Improvisationen auf dem tatsächlich noch herumstehenden Instrument zum besten gibt. Mal abgesehen davon, daß er hier wieder mit der Irritation der Maßstabstreue spielt, ist diese Arbeit durchaus als Kommentar zu Streulis Fotos zu sehen. Möchte der nämlich das Allgemeine finden, betont Altenburger, indem er sich hier eine halbe Stunde selbst präsentiert, gerade das Besondere unspektakulärer Situationen. Und dazu spielt er auch noch ein Instrument, das schon oft als Vehikel individuellen Ausdrucks herhalten mußte.

Stefan Altenburger/Beat Streuli, bis 3. November, Neuer Aachener Kunstverein