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Erregung öffentlichen Stillschweigens

Wasch uns den Pelz, aber Wasser kriegst du keins: Zur 1000-Jahr-Feier wurde Christoph Schlingensief nach Wien eingeladen, bekam für seine „Begnadeten Nazis“ aber kein Geld, wurde ins Off-Off verbannt und quasi vorab zensiert  ■ Von Uwe Mattheiß

„Der Skandal fängt an, wenn die Polizei ihm ein Ende macht“ (Karl Kraus). Nach diesem Grundsatz haben die österreichischen Sicherheitsbehörden bis in die Jahre des Wiener Aktionismus immer wieder Bedeutendes zur Entstehung von Kunst beigetragen und einigen Künstlern des Landes sogar zu interessanten neuen Erfahrungen im Exil verholfen. Mit diesem unfreiwilligen öffentlichen Mäzenatentum ist es endgültig vorbei. Den Kulturbehörden Wiens gelang es, Christoph Schlingensief vollständig zu erledigen, schon vor seinem Auftreten in der Stadt, fast lautlos und ganz ohne Polizeieinsatz – ein realpolitisches Meisterstück.

Als Auftakt einer Veranstaltungsreihe „Deutsche feiern das Millenium“ sollten Christoph Schlingensiefs „Begnadete Nazis“ die patriotischen Wallungen der „Tausend Jahre Österreich“ mit Sperrfeuer belegen. Nimmt doch die Nation das Aufscheinen der Buchstabenfolge „ostarrichi“ in einer frühmittelalterlichen Urkunde zum Anlaß, vom untergegangenen „Tausendjährigen Reich“ ein Stück weit abzusehen und dafür das verbliebene Tausendjährige pompös zu feiern.

Kultur liebt man in Wien als Ornament

Schlingensiefs theatralische Gruppentherapie am „Nazi in uns“ war vorsorglich an einen „Off-Off“- Spielort gelegt worden, eine ehemalige Straßenbahnremise am Ostrand der Stadt, in einer Gegend, in die sich Wiener Theaterpublikum selten hinverirrt. Drinnen im „schönen Wien“ der Postkartenmotive brachte André Heller noch einmal seine „Begnadete Körper“-Schau unter die Leute, ein Stück jener beliebten Wiener Repräsentationskultur, deren wahrer Grund das Ornament ist.

Selbst am Stadtrand zwischen skateboardenden Jugendlichen war Christoph Schlingensief dem sozialdemokratischen Bürgermeister Michael Häupl jedoch nicht klein genug. Subventionsgelder in Höhe von 300.000 Schilling wurden bis zum Beginn der Vorstellungen nicht ausgezahlt, par ordre du mufti, wie Schlingensiefs Veranstalter zuverlässig erfahren haben wollen. Demnach setzt sich Häupl über den Beschluß des Wiener Gemeinderates und seiner Kulturstadträtin Ursula Pasterk hinweg, die bislang als das „kulturliberale“ Aushängeschild der Wiener Sozialdemokraten gilt.

Statt dessen erreichten Schlingensief aus der Kulturabteilung des Wiener Rathauses merkwürdig anmutende Faxsendungen. Sie enthielten den Hinweis auf den Paragraph 218 des österreichischen Strafgesetzbuches samt Fallbeispielen aus der kommentierenden Literatur. Merke: Masturbation auf nächtlich-offener Straße vor zwei Beobachterinnen ist noch keine Erregung öffentlichen Ärgernisses, wenn noch jemand hinzukommt, schon. Schlingensiefs Ankündigung des „1. Großdeutschen Germania-Stechens“, bei dem eine Suzi-Wong-Darstellerin den Beischlaf mit 200 Männern simulieren sollte, hatte einen Wiener Kanzleibeamten um den Verstand gebracht. „Germania, mit wem hast Du geschlafen, daß Österreich entstehen konnte?“

Burgschauspieler kamen inkognito

Die „Schlacht um Wien“ hat begonnen. Die Wiener SPÖ kämpft gegen Jörg Haiders Freiheitliche am 13. Oktober um den Erhalt der absoluten Mehrheit. Bevorzugtes Ziel Haiderscher Attacken sind die Anflüge urbanen Kulturlebens, die sich nach Wien verirren. Im vorauseilenden Gehorsam der Sozialdemokraten vor völkisch- nationalen Kulturideen gerieten Schlingensief und seine Truppe, vor Tagen noch begehrter Prestigegewinn für die städtische Kulturpolitik, kurzerhand in die Wurst.

Am Premierenabend säumten ein paar Uniformierte den Eingang zum „Tatort Remise“ – zur Verkehrsregelung zu viele, zuwenig für die Unterstützung eines Zugriffs der Staatspolizei, den zuvor mancher ernstlich befürchtet hatte. Im Halbdunkel der Remise entpuppten sich Träger von Stapozisten-Trenchcoats als Burgschauspieler inkognito und 68er-Veteranen in Erwartung von Neuauflagen der legendären „Uniferkelei“ oder des Happenings „Kunst und Revolution“, dessen Verfolgung einige Wiener Aktionskünstler zeitweilig das Exil aufsuchen ließ.

Der pakistanische Zeitungsausträger eines Wiener Boulevardblattes wird von Neonazis erschossen, ein improvisierter Parteitag der Freiheitlichen endet mit einem Fluchtversuch von 40 Zuschauern. Adolf spielt Klampfe wie einst im Hofbräuhaus, Suzi Wong schaukelt ihren blauen Wohnwagen. Das war's dann auch. Wer das Schlingensief- Theater bislang nur als Aktions- und Improvisationsspektakel verniedlichte, sieht ein hochartifizielles Gebilde, dessen dramaturgischer Bogen nicht zuletzt durch die fehlenden finanziellen Voraussetzungen allerdings zerstört wurde. Christoph Schlingensief ist in Wien unter die beamteten Räuber gefallen und zeigte seine Wunden. In Österreich, der „Isolierzelle, in der man schreien darf“ (wieder Karl Kraus), kämpfte er gegen unsichtbare Gegner: die Stapo, den Bürgermeister Jörg Haider, Burgchef Claus Peymann, von dem er sich wohl in vatersuchender Naivität eine Rettung im Sinne des Theaters erhofft hatte. In seiner Ohnmacht hielt sich Schlingensief in der Premiere statt dessen am Lohnschreiber eines Wiener Boulevardblattes schadlos, der bis vor kurzem ein respektabler Kunst- und Theaterkritiker war. Tugendterror Marke 68, der den Abweichler straft, weil er den Gegner nicht treffen kann. In seiner Berliner Kanzlerpuppenaktion gelang es Schlingensief dagegen noch, den König in effigie zu köpfen.

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