„Wenn du schwanger wirst, fliegst du raus“

■ In Italien werden heute selbst die elementarsten Rechte der Arbeiter beschnitten

Roberta ist untröstlich: Da hat sie nun, hofft sie, den Mann fürs Leben gefunden. Er will sie heiraten. Doch kaum verbreitet sich die Nachricht, tritt Marissa auf, die Frau ihres Arbeitgebers im Lebensmittelladen: „Das sage ich dir gleich: Wenn du schwanger wirst, fliegst du raus.“ Doch was ist in Italien eine Ehe ohne Kinder?

Der Rat, derlei Drohung bei der Gewerkschaft zu melden und notfalls einen Arbeitsgerichtsprozeß anzustrengen, löst bei ihrem Verlobten Mario Kopfschütteln aus: „Gewerkschaft? Ein Prozeß? Du hast sie wohl nicht alle!“

Wahrscheinlich hat er recht. In den letzten vier Jahren wurden in Italien unzählige neue Normen eingeführt, die angeblich zur „Flexibilisierung“ des Arbeitsmarktes beitragen sollen. Keine davon hat wirklich gegriffen, doch fast alle dienten dazu, „die Totalausbeutung wieder einzuführen“, so Antonio di Manto, Provinzsekretär der Gewerkschaft Handel. Wobei „Wiedereinführen“ nicht das richtige Wort ist – „legalisieren“ trifft eher zu. Denn auch vorher waren die Arbeiter zumindest in mittelständischen und kleineren Betrieben ziemlich rechtlos.

Allerdings nicht auf dem Papier – da hat Italien in vielen Bereichen hervorragende Gesetze. Doch in der Praxis sieht das ganz anders aus: Arbeitsgerichtsprozesse dauern oft ein Dutzend Jahre bis zur endgültigen Entscheidung. Welcher Arbeiter kann das schon durchhalten?

„Den Sozialstaat, von dem alle sagen, er werde jetzt durchlöchert, den hat es de facto bei uns nie gegeben“, sagt Mira Marbaella von den Neokommunisten, und sie zählt auf: „Viele Arbeiter trauen sich nicht Urlaub zu nehmen, weil sie Angst haben, bei ihrer Rückkehr ihren Arbeitsplatz nicht mehr vorzufinden.“ Viele müssen sieben Tage die Woche arbeiten, sogar am Sonntag, und sie mucken nicht auf. Zwar gibt es die Cassa integrazione, die bei Massenentlassungen die Arbeitslosen mit einem Teil des Gehalts bedenkt. Aber für viele Menschen ist das dann die Endstation. Zwar gibt es den collocamento, eine Liste derer, bei deren Einstellung der Arbeitgeber Steuer- und Abgabenbefreiung erhält. Aber die bekommt nur, wer zwei Jahre ununterbrochen ohne jede Arbeit war.

Immer mehr Betriebe gehen dazu über, nur noch Monatsverträge, maximal aber Dreimonatsverträge abzuschließen, was die Kündigung erleichtert und verhindert, daß man das 13. und 14. Monatsgehalt bezahlen muß. Der willkürliche, oft zynische Umgang mit den Arbeiterinnen und Arbeitern hat natürlich zum Aufbau spezifischer Abwehrhaltungen seitens der Gebeutelten geführt. So ist der Absentismus, die tägliche Fehlrate in jenen Branchen besonders hoch, wo die Arbeitgeberrechte exzessiv durchgesetzt werden. Darüber hinaus gehören Vertragsbrüche heute vor allem seitens der ArbeiterInnen zum Normalfall. Wenn sie eine bessere Stelle bekommen, heuern sie sofort an. Oft werden die bisherigen Arbeitgeber nicht einmal verständigt – man kommt einfach nicht mehr.

Besserung ist auch durch die neue Mitte-Links-Regierung in Rom nicht in Sicht. Im Gegenteil: Schon munkeln einige Minister von weiteren „Erleichterungen bei der Gestaltung von Arbeitsvereinbarungen“. Sogar die vor zwei Jahren mühsam ausgehandelte Rentenregelung steht nun wieder zu Disposition. Bessere Bedingungen für Schwangere oder Kranke? Fehlanzeige.

Roberta hebt die Hände gen Himmel: „Bleibt mir halt nur die Alternative: ein Kind und arm oder kein Kind und auch nicht reich.“ Werner Raith, Rom