Ernst Loewy: Jude, Israeli, Deutscher

■ In den dreißiger Jahren nach Palästina emigriert, in den fünfziger Jahren nach Deutschland zurückgekommen. Zur Autobiographie des bedeutenden Exilforschers

Zugewandt, freundlich, milde, neugierig: Attribute, die einem einfallen können, will man Ernst Loewy beschreiben. Diesen nur von Statur kleinen Mann Exilforschern vorzustellen, hieße Eulen nach Athen tragen.

Ernst Loewy hat auf dem Gebiet der Exilforschung Meilensteine gesetzt. Schon im erzwungenen Exil in Palästina resp. Israel beschäftigte er sich mit der deutschen Exilliteratur und ihren Autoren. Sein 1966 veröffentlichtes Buch „Literatur unterm Hakenkreuz“, mittlerweile ein Standardwerk zur Literatur des Nationalsozialismus, dokumentiert deren „Blut und Boden“-Ideologie, deren völkischen Provinzialismus, deren rassistische und militaristische Elemente. 13 Jahre später erschien sein Buch „Exil“. Auf mehr als 1.000 Seiten hatte Ernst Loewy „literarische und politische Texte aus dem deutschen Exil 1933–1945“, so der Untertitel, zusammengetragen. Textsammlung wäre euphemistisch: eine Fundgrube für jeden am Exil Interessierten!

Und noch ein Meilenstein: Von 1984 bis 1991 war Ernst Loewy Vorsitzender der „Gesellschaft für Exilforschung“. Der von ihm herausgegebene „Nachrichtenbrief“, ein als Bulletin gedachter Informationsdienst über Neuerscheinungen, Personen, Termine etc., liegt seit einem Jahr als fast 2.000 Seiten umfassender Reprint vor.

Wer diesen renommierten Literaturwissenschaftler näher kennenlernen möchte, dem bietet sich nun sein Buch „Zwischen den Stühlen“ an. Keine Autobiographie im klassischen Sinne, vielmehr, wie der Autor schreibt, „ein Querschnitt durch 50 Jahre publizistischer Tätigkeit“. Und doch kommt das Lebensgeschichtliche nicht zu kurz. Der Text „Jude, Israeli, Deutscher – Mit dem Widerspruch leben“ komprimiert die biographischen Stationen Loewys.

1920 in Krefeld geboren, war er schon während der Schulzeit mit antisemitischen Lehrern vom „Typ des strammen Reserveoffiziers“ konfrontiert. Ohne Mittlere Reife verließ er 1935 nicht nur die Schule, sondern auch Deutschland, weil seine Eltern erkannten, „daß es in diesem Land für einen heranwachsenden Juden keine Perspektive mehr gab“. Er ging nach Palästina, lebte und arbeitete zuerst im Kibbuz, später als Buchhändler in Tel Aviv.

1956 kehrte er nach Deutschland zurück, lebt seitdem in Frankfurt am Main. Auf die selbstgestellte Frage nach dem „Warum?“ folgt die keineswegs rhetorische Gegenfrage. „Warum hätten wir vom Standpunkt eines demokratischen Deutschen oder eines deutschen Demokraten aus – ,eigentlich‘ – nicht zurückkehren sollen, da wir doch hier geboren sind wie schon unsere Urgroßeltern und also – ,eigentlich‘ – Deutsche sind.“ Und weiter: „Die Antwort ... hat mit Sprache zu tun, aber auch mit Landschaft, dem Klima, dem Grün der Wälder ... mit Gefühlen also, die allein vielleicht wenig erklären, ohne die das Übrige allerdings unerklärbar bleibt.“

Es ehrt Loewy, daß er auch heute nicht bereit ist, seinen Begriff von Antifaschismus, dem Zeitgeist folgend, auf dem Altar des neuen/alten Antikommunismus zu opfern. Er schildert das Wiedersehen mit einem kommunistischen Nachbarn, der Loewys Eltern bis zu deren Flucht aus Deutschland geholfen hatte. Dessen Bekenntnis „Was haben wir euch angetan!“ wog für Loewy schwer. Verständlich in einem Nachkriegsdeutschland, in dem über Jahrzehnte als Nationalhymne „Wir haben von nichts gewußt“ erschallte.

In einem Land, in dem man nicht sicher sein kann, ob das vielfältige Erinnern nur pseudodemokratischen Ritualen folgt und der stets von neuem geäußerte Wunsch nach einer Entsorgung der jüngsten Geschichte obsiegt, legt Ernst Loewy eine politische Biographie vor, der man nur viele Leser wünschen kann. Wilfried Weinke

Ernst Loewy: „Zwischen den Stühlen. Essays und Autobiographisches aus 50 Jahren“. Nachwort: Felix Schneider, Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 1995. 406 Seiten, 52,- DM