Gastkommentar
: Bremen in politischer Agonie

■ Die Profillosigkeit des Senats setzt sich überall fort

Sie verdienen wirklich das Mitleid des Publikums, die rührenden Versuche, den lethargischen Brei der politischen Provinz Bremen durch Personaldebatten ein wenig in Wallung zu bringen. Streit um Personen, Führungskämpfe, sind zwar das Salz in der politischen Suppe, Bremen wird aber noch Jahre auf diese Würze verzichten müssen.

Wo in Parteien um Spitzenpositionen gekämpft wird, gibt es Flügel und gegeneinander abgegrenzte Gruppierungen, die sich einander falsche Politik vorwerfen. Motor solcher innerparteilichen Dynamik ist der Machthunger von Newcomern, die den Verschleiß der alten Garde für ihre Aufstiegskämpfe nutzen und eine neue Politik proklamieren.

Natürlich hat Bremen eine Erneuerung von Politik und Politikern nötig. Das Kabinett der Unauffälligen stimuliert niemanden. Die interessanteste Person ist ohne Zweifel immmer noch der Oldie Henning Scherf, diese komplizierte Mischung aus Bekennerlust und Opportunismus. Er kann gleichermaßen mit charismatischen Auftritten verblüffen und mit öden Anpassungssprüchen abstoßen. In den Ressorts, durch die er gezogen ist, hat er Spuren hinterlassen, die schwer reparabel sind. Aber er ist eine unverwechselbare Persönlichkeit, ein Charakter besonderer Art. Seine Stärke ist zugleich seine Schwäche: Keiner weiß, wie verläßlich er am Ende eine Position durchträgt und wann es unversehens zu Provokationen kommt. Scherf langweilt nicht durch Beständigkeit. Im Kreise der bundesdeutschen Landesfürsten ist er aber eher ein Leichtgewicht. Man muß nur nachzählen, wie oft und wofür er überregional erwähnt wird.

Wer die öffentliche Berichterstattung über Ressortpolitik in Bremen verfolgt, wird von den übrigen SPD-Senatoren nicht viel wissen, obwohl es ungerecht wäre, Tine Wischer mit den anderen beiden SPD-Nobodies in einen Topf zu werfen. Im Kreis der rosagrauen Mäuse ist sie schon ein Farbtupfer. Wählermassen mobilisieren sie aber alle nicht.

Die CDU hat mit ihrer Regierungsmannschaft keinen Grund zur SPD-Häme. Perschau war als Münch-Kumpan schon vor seiner Bremer Zeit verschlissen. Den einen versorgte Kohl via Entwicklungshilfe in Südamerika, den anderen via Neumann in Bremen. Natürlich darf das Sensibelchen Schulte nicht mit dem Bremer Kantherverschnitt Borttscheller in einen Topf geworfen werden, und Softie Nölle ist der liebenswürdigste Finanzsenator, den man sich denken kann, ein Kontrastprogramm zur SPD liefern sie aber alle nicht. Die Glückskralle eines Ressortgestalters hat keiner.

Wo politische Charaktere und Taten fehlen, sollte Konjunktur sein für Konkurrenten. Und hier beginnt Bremens Elend. Die Profillosigkeit des Senats setzt sich in Fraktionen und Parteien fort. Kennt jemand einen Herausforderer für Scherf? SPD-Landesvorsitzender Detlev Albers oder SPD-Fraktionsvorsitzender Christian Weber etwa, zwar unbekannt, doch trotzdem existent? Die Namen nennen, heißt sie verwerfen. Scherf bleibt Spitzenkandidat, solange er es will. Am liebsten wäre ihm, er könnte vergessen machen, daß er zur SPD gehört. Von der kommt eh kein Schub. Scherf sollt ihr wählen! Das ist Programm genug.

Die Bremer SPD ist ausgeblutet, dieser Partei wächst gegenwärtig kein politischer Kopf mehr zu. Kein Nachwuchs, rapider Mitgliederschwund, Frust in den Ortsvereinen, kein innerparteilicher Diskurs, wie soll es da zur Erneuerung kommen. Die letzte Personaldebatte hatte die Partei seinerzeit beim Aufstand gegen Wedemeier. Jetzt wartet sie resigniert auf das Ende.

Das kann noch etwas dauern. Die CDU hat Mühe, sich aus der Umarmung des Zombies SPD zu befreien. Es grummelt zwar ein wenig im Wahlvolk, doch für wirklichen Flügelkampf und Aufbruch fehlen Themen und Köpfe. Und Neumann sorgt dafür, daß es so bleibt. Darum bleibt Nölle sein Mann. Solange die Neumann-Herrschaft nur ein biologisches Ende nehmen kann, läuft die Bremer CDU Gefahr, den Weg der SPD zu gehen, steril und dumm dahin zu vegetieren. Eigentlich müßten ihr Bremens Erneuerungskräfte zuwachsen. Statt dessen wächst die Zahl der politischen Abstinenzler. Die Partei der Nichtwähler wird die nächste Wahl bestimmen.

Bremen in politischer Agonie. Das ist die Wirklichkeit der Stadt. Wo aber nur die Geister der Vergangenheit beschworen werden, und alles bleiben soll, wie es schon immmer war, und Politik sich darin erschöpft, den Staatsbankrott vor sich herzuschieben, bleibt nur der Ausweg ins Private. Erneuerungsmodelle, die auch den Status Quo in Frage stellen, sind gefragt. Die Großen halten sich erschöpft umklammert. Wo bleibt der Einfallsreichtum der Kleinen? Grün sollte doch gut sein für nonkonformes Denken. Ich fürchte, mit Fücks entschwand auch hier die letzte Hoffnung. Der letzte macht das Licht aus.

Horst-Werner Franke, Senator a.D.