Scharfe Einzelhaft statt Erziehung

■ Jugendliche im 23-Stunden-Einschluß sollten die absolute Ausnahme sein. Derzeit sitzen 12 Jugendliche in Einzeluntersuchungshaft. Doch Richtern ist der erzieherische Aspekt der Haft egal

Achmed Ersan* darf keinen Kassettenrekorder haben. Wenn die anderen Jugendlichen arbeiten oder Sport machen, ist er nicht dabei. 23 Stunden am Tag verbringt der 18jährige allein in einer Zelle. Eine Stunde am Tag darf er raus. Doch selbst die Runden auf dem Hof muß er allein drehen. Wenn ihn seine Mutter besucht, ist immer ein Beamter dabei. Die meist vernommenen Wörter der letzten Wochen sind „nicht zulässig“, „nicht genehmigt“ und „abgelehnt“.

Seit Ende Juni sitzt Achmed Ersan in Einzeluntersuchungshaft in der Jugendstrafanstalt Plötzensee. Ihm wird vorgeworfen, im März vergangenen Jahres an einem Brandanschlag auf ein türkisches Reisebüro beteiligt gewesen zu sein. Zwischen dem Anschlag und seiner Festnahme liegen ein Jahr und drei Monate. Acht Monate nach dem Brandanschlag erfolgte eine Hausdurchsuchung, die nichts erbrachte. Weitere sieben Monate später wurde Achmed Ersan auf seiner Arbeitsstelle verhaftet. Wenige Tage zuvor gab es zwei Brandanschläge auf türkische Reisebüros – langsame Mühlen der Polizei oder blinder Aktionismus?

Was eigentlich die absolute Ausnahme sein sollte – Jugendliche im 23-Stunden-Verschluß – wird derzeit bei 12 Jugendlichen in der Untersuchungshaft (U-Haft) der Jugendstrafanstalt praktiziert. Den deutschen (4), vietnamesischen (2), türkischen (1), albanischen (2), libanesischen (1), rumänischen (1) und polnischen (1) Jugendlichen zwischen 18 und 20 Jahren werden nach Angaben von Anstaltsleiter Marius Fiedler „Gruppendelikte mit komplizierter Aufklärung“ vorgeworfen: Autoschieberei und Zigarettenhandel, Kontakte zur Organisierten Kriminalität oder PKK sowie gemeinsame Tötungsdelikte. Während die durchschnittliche U-Haft bei Jugendlichen über 18 Jahren nach Angaben von Fiedler bei etwa sechs Wochen liegt, befindet sich Achmed Ersan seit fast drei Monaten in verschärfter U-Haft, zwei vietnamesische Jugendliche seit zwei Monaten.

Trotz völliger Abschottung trifft der Begriff „Isolationshaft“ nach Angaben der Justizpressestelle nicht zu. Corinna Bischoff spricht von „Getrennthalteverfügung“, die Kontaktaufnahme bei mehreren Tätern oder Zeugenbeeinflussung verhindern soll. Diese Sicherungsmaßnahmen würden angewandt bei hoher Straferwartung, Verdunklungs- oder Fluchtgefahr und hauptsächlich bei „mafiosen Strukturen“.

Anstaltsleiter Fiedler nennt diese Form des Einschlusses „Richtereinschluß“. Wenn die Gerichte solche Sicherungsverfügungen beschließen, sei „der erzieherische Auftrag nicht zu erfüllen“, so seine Kritik. Ihm bleibe dann nichts weiter, als „nur freundlich und nett“ zu den Jugendlichen zu sein. Fiedlers Kritik richtet sich nicht dagegen, daß die Gerichte die „Sicherstellung eines Verfahrens“ betreiben. Doch der „doppelte Auftrag“ der U-Haft beinhalte eben auch „erzieherische Aspekte“, und die würden „eklatant behindert“. Wenn Richter, wie im Falle von Achmed Ersan, Arbeit auf der Zelle gestatten, fragt sich Fiedler: „Was wissen Richter von Anstalten?“ Für Jugendliche gibt es keine Arbeit auf der Zelle.

„Sehr verwundert“ ist Achmed Ersans Anwalt, Jasper Graf von Schlieffen, über den Zeitpunkt der Festnahme seines Mandanten. Belastende Aussagen eines Mitgefangenen seien lange vorher bekannt gewesen. Der Verteidiger hat alle Instanzen abgeklappert, um Haftverschonung zu erwirken. Trotz festem Wohnsitz, Arbeitsplatz und familiären Bindungen wurden die Anträge auf Haftverschonung für den türkischen Jugendlichen mit deutscher Staatsangehörigkeit wegen der Annahme von PKK-Kontakten und Fluchtgefahr abgelehnt. Wann mit der Hauptverhandlung zu rechnen ist und wie lange Achmed Ersan noch in Einzelhaft bleiben muß, ist derzeit unklar. Barbara Bollwahn

* Name von der Red. geändert