Mit High Speed zur modernen Bombe

■ Immer potentere Computer führen heute Simulationsanalysen durch

Wer die chemische Zündphase einer Atombombenexplosion miterleben möchte, der wähle sich ins Internet ein (http://www.sandia.gov./LabNews.htm1). Realitätsgetreu zerfetzt eine simulierte Initialzündung die innere Wandung des Sprengstoffcontainers. Diese Animationssequenz aus der US-Nuklearwaffenschmiede Sandia National Laboratory in New Mexico zeigt etwas von dem, was der Supercomputer Paragon alles kann.

Doch Paragon, der mit seinen 140 Milliarden Rechenoperationen pro Sekunde bis vor kurzem noch als Rekordhalter galt, gehört schon fast zum alten Eisen. Die Bombenforscher von Sandia haben bei Intel einen potenteren Computer geordert. Insgesamt 9.000 parallelgeschaltete P6-Mikroprozessoren sollen ihm um den Faktor 10 schneller machen als Paragon und ebenso leistungsstark wie 50.000 herkömmliche Superrechner zusammen. Das erklärte Ziel von Bill Clintons „Accelerated Strategic Computing Initiative“: Die Vertausendfachung von Rechen- und Speicherkapazität der Simulationscomputer, um den Big Bang im Binärcode nachahmen zu können.

Trockenexperimente ohne Atomexplosionen

Die Revolution in der Rechnertechnik schiebt die Grenzen des Machbaren auch bei kopierten Nuklearexplosionen immer weiter hinaus. Eine komplizierte Software-Architektur ermöglicht auf Parallelrechnern das gleichzeitige Ausführen vieler Rechenschritte. Was die Simulationscomputer künftig vermögen, kann niemand genau sagen. Mit Sicherheit aber werden sie immer mehr können.

Schon vor Jahren gelang es Rußland mittels des Computers Elbrus 3-1 (ein hundertstel der Rechenleistung von Paragon), auf 30 Prozent seiner unterirdischen Atomtests zu verzichten. Das französische Verteidigungsministerium, das seit Beginn dieses Jahres über den US- amerikanischen Supercomputer Cray T3E verfügt, hat nie einen Hehl daraus gemacht, seine Nuklearwaffen mit Hilfe des nationalen Simulationsprogramms PALEN zu modernisieren – ohne reale Tests. Die Atomversuche auf Moruroa haben das französische Datenkapital offenbar soweit aufgestockt, daß die geplante Interkontinentalrakete M5 auf dem Simulationsweg vollendet werden könnte.

Doch nicht allein Computer sind für „Trockenexperimente“ entscheidend, die ohne Atomexplosionen auskommen und somit vom Teststoppvertrag nicht erfaßt werden. In Verbindung mit anderen Simulationstechnologien können sie Daten liefern über Neutronenflüsse, Gammastrahlenstärke, Lichtblitze und Schockwellen. Zu diesen Labortechniken zählen sogenannte hydronukleare und hydrodynamische Tests.

Die Vorsilbe „hydro“ bedeutet, daß sich das Spaltmaterial unter dem extremen Druck in der ersten Detonationsphase ähnlich wie eine Flüssigkeit verhält. Während es bei hydronuklearen Tests zu einer atomaren Kettenreaktion kommt, die jedoch abgebrochen wird, bleibt beim hydrodynamischen Test das durch die chemische Initialzündung verformte Spaltmaterial der Bombe „subkritisch“ – es findet keine Kettenreation statt. Solche subkritischen Experimente sind im Entwurf des Teststoppvertrages erlaubt.

Hydronukleare Tests sind nicht verboten

Indessen hat man auf eine Definition hydronuklearer Tests verzichtet, explizit sind sie daher auch nicht untersagt. Dennoch geht Annette Schaper von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung davon aus, daß eine angemessene Interpretation der Teststoppverhandlungen einzig die „Null-Option“ zuläßt, also das Verbot aller hydronuklearen Tests beinhaltet.

Mit hydrodynamischen Versuchen lassen sich „Spaltzünder bis zum Start der Kettenreaktion testen“, sagt der Darmstädter Kernphysiker Martin Kalinowski. Neue Zünder werden für veränderte Sprengkopfgeometrien benötigt. Kleinere, leichtere, aber auch robustere Atomsprengsätze lassen sich durch hydronukleare Experimente optimieren. Für atomare „Sezierbestecke“ der dritten Waffengeneration, die tief in die Erde eindringen und Kommandobunker ausschalten sollen, könnten solche Experimente wertvolle Konstruktionsdaten beisteuern.

Ob eine substantielle Neuentwicklung von Kernwaffen per Simulation möglich ist oder „nur“ eine Modernisierung bestehender Systeme, ist vor allem Sache der Definition. Entscheidend wird die Frage sein: Wie sicher kann die Sprengwirkung bisher nicht vorhandener Modelle vorausgesagt werden? Neue Nuklearwaffen, an denen gearbeitet wird, wären neben Mikro-, Mini- oder Tinynukes für begrenzte Atomschläge gegen aufmüpfige Potentaten des Südens auch elektromagnetische Pulswaffen. Ihre Strahlengewitter sollen Computer und Funknetze ausschalten. Die Phalanx der Simulationsanlagen für Nuklearwaffen wächst: thermonukleare Trägheitseinschlußfusion und Teilchenbeschleuniger, gepulste Röntgenstrahlen und Superlaser wie der Megajoule bei Bordeaux. Alle sollen sie insbesondere der friedlichen Forschung dienen.

Die historischen Erfahrungen stimmen eher skeptisch, gehören doch militärische Nukleartests seit jeher zu den bestgehüteten Staatsgeheimnissen. Erst 1993 gestand die US-Regierung, daß sie während des Kalten Krieges 252 mehr Atomexplosionen auslöste, als offiziell bekanntgegeben. Thomas Worm