Unkraut, Nymphchen, Bremssyteme

■ „KRUX“: eine Austellung von Bernhard Prinz in der Produzentengalerie

Das Baby hat Masern. Der Körper, eine einzige Wunde, verpustelt, gerötet. Ein Foto des Hamburger Künstlers Bernhard Prinz. Abgebildet ist sein Sohn, der genauso vor hygienischem Weiß drapiert ist, wie all jene krabbelnden Models, die sich auf ein Pampersprodukt freuen oder uns die Dringlichkeit eines neuen Autobremssystems mit ihrer ungeschützten Nacktheit wirkungsvoll nahelegen.

Häßliche Male auf kleinen Menschen mit reiner Seele, inszeniert mit Anleihen bei der Werbeästhetik, da schwant dem Besucher der Ausstellung KRUX schon was. Und der, der sich an Prinz– Werkreihen Brandmarkungen (1992), auf denen keine Pusteln, sondern Tätowierungen die Haut in der Nähe der Geschlechtsmerkmale überziehen, oder die Verfallsallegorien von in nuce (1990) erinnert, hat schnell ein Beziehungsgeflecht aus Tod und Jugend, Sexualität und Unschuld parat.

Weiter hinten präsentiert sich eine irritierende Nymphengalerie. Großformatige Halbakte von Kindern, die sich mit stolzem Blick dem Besucherauge stellen. Die Mädchen und Jungen haben die Sweatshirts um die Hüften gebunden, mancher oberste Hosenknopf ist geöffnet. Ein seltsames Wechselspiel aus Anziehung und Abstoßung wird von diesen Bildern initiiert. Da ist die sinnliche Ausstrahlung der Kinder und die eigene moralische Instanz, die alle unsittlichen, im Bild bereits installierten Projektionen zurückpfeift.

„Die Verführung geht im Grunde schon von den Augen aus“, sagt Prinz. Ihn selbst interessiert primär die „skulpturale Ikonenhaftigkeit der Körper“. Eine bildhauerische Formenneutralität, die aber durch die zwischen den Halbakten aufgehängten „Epidemien“ (1992) wieder in den Zyklus von Sexualität und Unschuld eingeordnet wird. Schließlich meinen die „Epedimien“ mit ihrem wuchernden Unkraut nicht nur chaotische Struktur an sich, sondern auch schlicht den undomestizierten Sexualtrieb.

Gewiß findet hier nicht etwas statt, wofür andererorts die Todesstrafe gefordert wird. Und es darf angenommen werden, daß sich Prinz den auf der Straße Angesprochenen nicht ungebeten als Onkelfigur aufgedrängt hat. Doch wo immer es um Kinder geht, treffen sich verschiedenste Interessen, ökonomische, normierende, pädagogische und nicht zuletzt das Interesse, anstelle der Kinder für sie zu sprechen. Gerade nach der Berichterstattung über Belgien fühlen sich Übereifrige in die Pflicht genommen, sobald ein minderjähriger Nabel irgendwo blitzt.

Und so waren weder die Leserbriefe an die taz hamburg, als Reaktion auf den Ankündigungstext zur Ausstellung (29.8), noch die kritischen Bemerkungen auf der Vernissage eine Überraschung. Wenngleich auch die Hartnäckigkeit verblüfft, mit der manche künstlerische Inszenierung und kriminelle Gewalt, Zeichen und Bezeichnetes verwechselten und den Prinz-Arbeiten jede Möglichkeit einer dialektischen Eigenreflexion des Betrachters kategorisch absprechen. Wenns nach der empörten Öffentlichkeit ginge: Fotos von Larry Clark, die FKK-Illustrierte Sonnenfreunde – alles ab auf den Index. Eine Bigotterie, die die Ursachen des Mißbrauchs längst aus den Augen verloren hat und mit dem Streit um die Wiederverfilmung von Nabokovs Lolita in Großbritannien sich selbst in die Groteske treibt.Kinder wurden zu allen Zeiten gequält.

Selbst wenn alle Kinder-Akte auf dem Scheiterhaufen landen, einem wahren Päderasten mag auch bei dem dicken Kinderkopf auf der Zwiebackpackung einer abgehen.

Birgit Glombitza

Produzentengalerie, bis 5. Oktober