Politik gegen Lebensart und klare Nächte

Der Westen der USA verstädtert. Mit den Städten kommt die Politik – und damit die Gier nach mehr Geld sowie die kleinen Intrigen  ■ Aus Quartzsite Reed Stillwater

Mit der Wüste ist das so, daß man nie genau weiß, ob das, was man sieht, tot ist oder nur stillhält, um die größte Hitze zu überdauern. Ein Strauch, der alle Blätter abgeworfen hat, vermeidet damit unnötige Verdunstung, der herbstliche Regen aber treibt Blätter und Blüten hervor. Mit den Spuren des Menschen in der Wüste ist das nicht anders. Was da wie ein verlassenes Camp aussieht, dessen zerfallende Wohnwagen in der Sonne bleichen, kann sich beim Näherkommen beleben. Und so ist das mit Quartzsite, einem Ort auf der Arizonaseite des Colorado River unweit der kalifornischen Grenze. Was da wie der aufgegebene Versuch einer Besiedlung aussieht, erhält im Herbst millionenfachen Zulauf. Ab Oktober kommen sie zu Tausenden, die Wohnwagen, die Platz auf den 76 Camps finden.

Als dieses Quartzsite 1989 Stadtrecht bekam, zog Politik in eine Gegend ein, die bisher davon verschont zu sein schien. Die Parteien, die sich dabei bildeten, hatten nichts mit Republikanern und Demokraten zu tun, eher mit Montagus und Capulets (den verfeindeten Familien aus Shakespeares Romeo und Julia). Sie waren auch nicht weniger dramatisch, nur letztlich weniger tödlich.

Der erste Bürgermeister, Richard Oldham, hatte einen alten Feind, Rex Byrd, und die Feindschaft hatte mit Politik nichts zu tun. Aber Rex Byrd konnte den Mann nun mal nicht ab, gab ihm als Stadtverordneter immer Zunder und organisierte schließlich ein erfolgreiches Abwahlverfahren. Als Richard Oldham nun seinerseits Stadtverordneter wurde und Rex im Stadtrat einheizte, heuerte Byrd einen Killer an. Der aber war ein Polizeispitzel, so daß die ganze Geschichte aufflog und Byrd verhaftet und verurteilt wurde. Wegen eines Verfahrensfehlers muß der Prozeß allerdings wiederaufgenommen werden. Das alles spielte sich vor drei Jahren ab, und seitdem zerfällt Quartzsite in die Parteigänger Oldhams und Byrds. Zwei von Oldhams Leuten sitzen noch immer im Stadtrat, und um deren Ab- oder Wiederwahl geht es am Wahltag im November. Die Quartzsiter handhaben das Instrument der Abwahl virtuos. Heute geht es auf den Sitzungen des Stadtrats unter Vorsitz der neuen Bürgermeisterin Patty Bergen ganz gesittet zu und um so unscheinbare Fragen wie das zulässige Alter von Mobile Homes. Der Stadtrat hatte nämlich unter Rex Byrd verfügt, daß Wohnwagen und Mobile Homes nicht vor Juni 1975 gebaut sein dürfen, wenn sie in Quartzsite eine Standgenehmigung erhalten beziehungsweise innerhalb Quartzsites umziehen oder verkauft werden sollen. Dieser Erlaß soll widerrufen werden. Ione Farmer, eine von Byrds Leuten, macht geltend, daß jetzt, wo Quartzsite als Winterquartier immer populärer wird, man nicht den letzten Schrott in der Stadt haben wolle. „Und was ist, wenn eines dieser alten Dinger mal aufgrund veralteter Leitungen Feuer fängt und eine ganze Familie darin umkommt, ja vielleicht noch andere Wohnwagen auf dem Stellplatz in Flammen aufgehen? Ist die Stadt sich darüber im klaren, was da an Schadenersatzansprüchen auf sie zukommen würde?“

Fred ist ein untersetzter, schwerfälliger Mann, er erhebt sich und geht schnaufend ans Mikrophon: „Ich habe ein wunderbares Mobile Home, das vor 1975 gebaut wurde, es ist besser als so manch neueres, ich lebe damit hier seit zwanzig Jahren. Und jetzt soll ich es nicht verkaufen oder innerhalb der Gemeinde woanders aufstellen dürfen? Ich verdiene monatlich 500 Dollar. Damit kann ich mich in Kalifornien nicht zur Ruhe setzen, obwohl ich da 39 Jahre gearbeitet habe. Ich will hier leben, hier in der Wüste, wo die Nächte klar sind und die Stadt weit weg ist. Aber wir haben den Fimmel, jetzt alles regeln zu wollen, wo wir Stadtrecht haben.“ Richard Oldham, der auch zur Ratsversammlung gekommen ist, pflichtet ihm bei.

Was sich in Quartzsite abspielt, ist typisch für den Wandel im amerikanischen Westen. Ehemals wirklich nicht viel mehr als eine Wagenburg für Prospektoren, Gold- und Steinesucher, wurde der Ort innerhalb von einem Jahrzehnt populär. Die ganzjährige Bevölkerung von 2.500 schwillt im Winter durch eine große Steinbörse und durch den Zuzug von Leuten aus dem Norden, die hier überwintern wollen, auf anderthalb Millionen an. Dazu trug nicht unwesentlich die Fertigstellung des Interstate Highway 10 bei, der von Los Angeles über Palm Springs nach Phenix und weiter an den Atlantik führt. Damit liegt Quartzsite jetzt an der strategischen Kreuzung mit dem Highway 95 nach Yuma und Mexiko. Mit der Interstate kamen die Truckerstops, die Tankstellen und McDonald's, mit der 95 die Drogen aus Mexiko, die hier auf die Trucks umgeladen wurden, und die Polizeispitzel – das war Byrds Pech. Aus der Wagenburg in der Wüste wurde eine Stadt – mit allem, was dazugehört. Und damit kam Geld und vor allem die Gier nach mehr Geld.

Mit den Stadtrechten kommt weiteres Geld vom Bundesstaat und vom Bund, um Kanalisation und Wasserleitungen zu bauen. Aber wer kriegt die Aufträge vom Bürgermeister? Wer hat Wasseradern auf seinem Land und kann Wasser oder Wasserrechte verkaufen? Die Streitigkeiten haben bisher sowohl den Aufbau einer gescheiten Wasserversorgung verhindert als auch den Bau eines Abwassersystems – und das acht Jahre nach der Stadtgründung.

Unaufhaltsam verliert der Westen der USA seine Ungebundenheit und wird in das Schwerefeld des Urbanen und Suburbanen gezogen. Suburbia wird von den Problemen der Stadt eingeholt und die Wüste von denen Suburbias, ein fortwährend aufs neue und auf allen Ebenen sich abspielender Prozeß, der das für die USA so typische Ressentiment gegen Politik und Government hervorbringt. Wer in die Wüste floh, um vor dem Tollhaus Stadt seine Ruhe zu haben, muß jetzt politisch denken – den einen paßt das, weil sie damit Geld machen können, den anderen stinkt das, weil damit ein Stück Lebensart verlorengeht.