In Tuzla wird die vereinte Opposition gewinnen

■ Bosniens Präsident Alija Izetbegović enttäuscht seine AnhängerInnen im Wahlkampf

Tuzla (taz) – Wenn Alija Izetbegović vor das Mikrophon tritt, schwillt der Beifall seiner Anhänger auf jeder Wahlveranstaltung zu einem Orkan an. Im Meer der grünweißen Fahnen der Muslime skandieren die Menschen immer wieder den Vornamen des Vorsitzenden der „Partei der Demokratischen Aktion“ (SDA), der muslimischen Nationalpartei. Der Präsident Bosnien-Herzegowinas scheint auf dem Höhepunkt seiner Popularität angelangt zu sein.

Auf den ersten Blick scheint dies auch für Tuzla zu gelten, der Industriestadt im Osten Bosniens, wo sich im städtischen Stadion am Dienstag abend rund 30.000 Menschen versammelt haben, um dem Führer der Muslime zuzujubeln. Dutzende von Bussen haben SDA-Anhänger aus den umliegenden Dörfern in die Stadt gebracht, Tausende sind mit ihren Fahnen durch das Zentrum zum Veranstaltungsort gezogen. Und das Absingen der Nationalhymne wie des Liedes der Partei geht vielen Anhängern durch Mark und Bein. Manche weinen beim Anblick dieser Szenerie.

Auch Mirsada ist gerührt. Sie hat den Krieg in Tuzla überlebt. Die junge Frau ist stolz darauf, der Verlockung widerstanden zu haben, in eine fremdes Land zu fliehen. Sie sei durch den Krieg zur politisch bewußten Frau, zu einer Muslimin geworden, sagt sie. Vor dem Krieg habe sie das normale europäische Leben geführt, Politik habe sie nicht interessiert, eher Kleider, Discos und Reisen, die sie damals nach Italien und Frankreich unternommen habe. In Tuzla sei es den rund 110.000 Einwohner ganz gut gegangen. Mit der chemischen Industrie und dem Salzbergwerk habe die Stadt eine solide Grundlage für einen relativ hohen Wohlstand gehabt, auch sie habe als Sekretärin gut verdient.

In der Stadt herrschte stets eine tolerante Atmosphäre. Spannungen zwischen Muslimen, Kroaten und Serben gab es nicht, berichten viele der Einwohner. Bei den letzten Wahlen 1990 errangen die nicht nationalistischen Parteien, die Sozialisten, Exkommunisten und Liberalen, die Mehrheit. Und diese Koaltion hat gehalten, auch nachdem der Angriff der serbischen Extremisten in Ostbosnien und dem nahen Brčko begonnen hatte, nachdem die Industrie zusammengebrochen war. Selbst in den folgenden Hungerwintern blieb diese Koalition unter dem populären Bürgermeister Selim Beslagić intakt.

Laut der jüngsten Umfrage werden rund 40 Prozent der Bevölkerung Tuzlas für die Opposition, 38 Prozent für die Regierungspartei stimmen. Den Rest der Stimmen werden sich Anhänger des ehemaligen Premierministers Haris Silajdžić, die Liberalen und andere teilen. Da jetzt jedoch die Gemeinderatswahlen ausfallen, habe die Regierungspartei dennoch gute Chancen auf den Sieg bei den Kantonswahlen in der Region Tuzla. Denn auf dem flachen Land habe Izetbegović mit rund 80 Prozent die Mehrheit.

„Der stottert ja“, sagt Mirsada respektlos, als Izetbegović zu sprechen beginnt und sich gleich zu Beginn verhaspelt. Umständlich versucht er die Vorwürfe der Opposition, die Regierungspartei manipuliere die Presse, zu entkräften. Auch als er der internationalen Presse vorwirft, sie werfe seine Partei und die von Karadžić in einen Topf, zündet der Funke nicht. Eisiges Schweigen herrscht gar, als er dazu aufruft, keinesfalls gewaltsam gegen die Opposition vorzugehen. Stimmung kommt erst auf, als er die Rückkehr der Vertriebenen nach Srebrenica, Zvornik und Foca fordert. „Wenn du es willst, gehen wir an die Drina“, rufen seine Anhänger emotionalisiert. Und jetzt wieder „Alija, Alija“.

Er hat seinen Anhängern nicht gegeben, was sie sich wünschten, wird Mirsada später im Kreis von Freunden erzählen. Die wollten nämlich einen Führer, an den sie bedingungslos glauben könnten, eine charismatische Gestalt, der die im Krieg verlorenen Gebiete wieder zurückholt.

„Izetbegović bremst seine Heißsporne, die muslimischen Extremisten, und das ist gut so.“ Deshalb solle er ruhig wieder Präsident werden, sagt Mirsada. Nach den letzten Umfragen müsse er im Kampf um das Präsidentenamt persönlich lediglich Haris Silajdžić fürchten. Seine SDA dagegen habe die allerbesten Chancen, im muslimisch kontrollierten Gebiet die absolute Mehrheit zu erringen. „In Tuzla jedoch wird die Opposition gewinnen.“ Erich Rathfelder